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Schloss Biebrich

Seit 1744 diente Schloss Biebrich als Residenz der Nassauischen Fürsten. Nach dem Bau des Wiesbadener Stadtschlosses und des Ministerialgebäudes an der Luisenstraße verlor es jedoch seine Funktion als Sitz der Landesregierung. Es wurde nun unter Herzog Adolf von Nassau vor allem als Sommerresidenz genutzt. Heute sind im Schloss das Landesamt für Denkmalpflege Hessen sowie verschiedene Filmeinrichtungen untergebracht.

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Schloss Biebrich liegt südlich von Wiesbaden im Stadtteil Biebrich unmittelbar am Nordufer des Rheins. Das zum Fluss hin abfallende Gelände war von Beginn an entscheidend für die Gestaltung der repräsentativen Anlage. So sind alle nach außen, nach Süden, Westen und Osten gerichteten Fassaden dreigeschossig, die Gartenfassaden hingegen zweigeschossig. Heute scheint die dreiflügelige Schlossanlage durch die einheitlich weiß-rote Farbfassung wie aus einem Guss entstanden. Tatsächlich wurde sie im Laufe der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erbaut, der weitläufige Schlosspark Biebrich im 19. Jahrhundert angelegt. Bauherr des Schlosses war Fürst Georg August Samuel von Nassau-Idstein, der um das Jahr 1700 den Auftrag erteilte, auf neu erworbenem Gelände am Rheinufer einen Lustgarten mit Gartenhaus anzulegen, nach den Plänen des Mainzer Baumeisters Johann Weid. Schon 1701 entschied der Fürst, das Gartenhaus zu einem Wohngebäude erweitern zu lassen. So entstand vermutlich unter Beibehaltung der Konzeption des Weid‘schen Plans bis 1703 der heutige Westpavillon, der mit seinen charakteristischen genuteten Kantenlisenen und geohrten Fenstergewänden das künftige Erscheinungsbild des Schlosses maßgeblich beeinflussen sollte. Bis 1707 erbaute Friedrich Sonnemann, zum fürstlichen Baumeister berufen, etwa 86 Meter östlich dieses Pavillons ein zweites Wohngebäude, den Ostpavillon. In der Folge bewohnte der Fürst den östlichen, Fürstin Henriette Dorothea von Öttingen den westlichen Pavillon.

Die weitere Entwicklung der Anlage zu einem Lustschloss lag seit etwa 1705 in den Händen von Maximilian von Welsch. 1707 legte dieser einen ausgereiften Gesamtplan vor, nach dem ab 1708 gebaut wurde. Welsch verband die beiden Pavillons über zunächst niedrige Galerien mit einem Mittelpavillon, den er als Rotunde konzipierte. Nach Norden ließ er einen symmetrisch gegliederten barocken Garten anlegen mit einer aufwändig gestalteten Orangerie als Abschluss. Als der Fürst im Jahre 1721 starb, war die Innenausstattung der Rotunde und der seit 1719 um ein Geschoss erhöhten Galerien noch nicht abgeschlossen, dagegen waren der Garten und der Ostflügel der Orangerie fertig gestellt. Letzterer wurde bereits um 1740 wieder abgebrochen.

Mit dem Tode Georg Augusts starb die Idsteiner Linie der Nassauer aus. Die Bauarbeiten gerieten ins Stocken und wurden erst 1730, unter der Regierung der Fürstin Charlotte Amalie Fürstin von Nassau-Usingen wieder aufgenommen. Sie ließ die lange leer stehenden Wohnpavillons herrichten und berief 1733 Friedrich Joachim Stengel als fürstlichen Baumeister. Bis 1740 wurden die Festräume des Rheintraktes, der Rotundensaal und die Erdgeschossgalerien, nach den Plänen von Welschs fertiggestellt.

Die Rotunde, ein zylindrisch ausgeformter Baukörper, war und ist bis heute das festliche Zentrum der Schlossanlage. Hier gelang Maximilian von Welsch eine geniale, auf die topografische Lage perfekt abgestimmte architektonische Lösung. Zwischen acht Paaren gekoppelter Kolossalpilaster ionischer Ordnung öffnet sie sich in breiten Fenstertüren ebenerdig zum Park bzw. über einem durch Lagerfugen rustizierten Sockel zur Treppe auf der Rheinseite. Den oberen Abschluss bildet eine hohe Attika, der Götterfiguren und Vasen ein kronenähnliches Aussehen verleihen.

Im Inneren befand sich im Sockel ursprünglich eine sala terrena, ein Grottensaal, der sich kreisrund nach oben in den Festsaal öffnete. Bereits 1717/18 wurde der Raum in eine Kapelle umgewandelt. Höhepunkt des barocken Festsaals war die Kuppel mit dem von Luca Antonio Colomba geschaffenen Deckenfresko, das sich bis heute erhalten hat. Figurenreich zeigt es in Anlehnung an Ovids Metamorphosen die Aufnahme des trojanischen Helden Aeneas in den Olymp, hierin das Selbstverständnis des fürstlichen Auftraggebers Georg August reflektierend, der 1688 in den Fürstenstand erhoben worden war. Heute vereint der Festsaal originale barocke und klassizistische Gestaltungselemente.

Auch die Galerien waren ursprünglich üppig ausgestattet. In Stuckrahmungen von Carlo Maria Pozzi an Decken und Wänden der Erdgeschosse malte Colomba 1733 - 1735 Szenen aus der Odyssee und der Aeneis, in sinnigem Bezug zum großen Kuppelfresko der Rotunde.

Fürst Karl von Nassau-Usingen, seit 1734 volljährig und mit Christiane Wilhelmine von Sachsen-Eisenach, Enkelin des Fürsten Georg August, verheiratet, beschloss, die Residenz aus dem abgelegenen Usingen an den Rhein zu verlegen. Infolgedessen wurde Stengel mit dem Bau eines Marstallgebäudes beauftragt (1733 - 1737), das – noch im Bau befindlich – um ein Wohngeschoss erhöht und mit dem Ostpavillon verbunden wurde. Darauf folgten von 1740 bis 1750 der Bau des Westflügels nach französischem Vorbild und als vorläufig abschließende Baumaßnahme von 1747 bis 1750 die Vollendung der Einfriedung an der Rheinseite. Nach erfolgtem Umzug der Regierung und des Hofes an den Rhein 1744 und nach Abschluss der letzten Arbeiten 1750 geschah während vieler Jahrzehnte nichts Wesentliches mehr.

Erst unter der Regentschaft des Herzogs Wilhelm von Nassau (ab 1816) und im Vorfeld von dessen Heirat mit Prinzessin Pauline Friederike von Württemberg (der späteren Pauline Friederike Herzogin von Nassau) im Jahr 1829 wurde das barocke Schloss im Stil des Klassizismus modernisiert. Nach Plänen des Hofbaudirektors Friedrich Ludwig Schrumpf entstand 1826/27 die großzügig geschwungene, zweiläufige Treppe an der Rheinseite der Rotunde. Ebenso wurden im Inneren der Rotunde, der Galerien, aber auch des Westflügels und der Pavillons zahlreiche Veränderungen vorgenommen. Barocke Malereien und Stukkaturen wurden übermalt oder gar entfernt. Das große Kuppelfresko der Rotunde verschwand bis 1980 unter gemalter Kassettierung, Emporenumgang und Wände wurden verändert und erhielten den noch heute vorhandenen grauen Stuckmarmor, die Sandsteinböden wurden durch Parkett ersetzt. In den Galerien verschwanden die szenenreichen Malereien Colombas und die verspielten Stukkaturen Pozzis fast vollständig. Es wurden eine spezielle Warmluftheizung und im Westpavillon die erste, noch erhaltene Badewanne aus Villmarer Marmor eingebaut.

Trotz dieser umfangreichen Modernisierung fasste Herzog Wilhelm den Entschluss, in der Stadt Wiesbaden eine neue Residenz zu bauen. Von 1837 bis 1841 entstanden das Stadtschloss Wiesbaden und das Ministerialgebäude (später Regierungsgebäude) an der Luisenstraße. Spätestens ab 1842, Herzog Adolf von Nassau hatte 1839 bereits die Nachfolge seines Vaters angetreten, verlor das Biebricher Schloss seine Funktion als Sitz der Landesregierung. Es wurde jedoch weiterhin in den Sommermonaten als Residenz genutzt, da Herzog Adolfs ganze Leidenschaft der Botanik und dem Landschaftspark gehörte.

Mit der Annexion des Herzogtums Nassau durch Preußen im Jahr 1866 verlor das Schloss seine politisch-repräsentative Bedeutung. Es verblieb zwar im Privatbesitz des abgedankten Herzogs, wurde von diesem aber nicht mehr bewohnt. Jahrzehntelang nur notdürftig unterhalten, wurden Schloss und Park 1934 schließlich an den preußischen Staat verkauft. Eine geplante umfassende Renovierung verhinderte der Zweite Weltkrieg, und noch in den letzten Kriegstagen 1945 wurden Ostflügel, Ostpavillon und das Obergeschoss der Ostgalerie durch Bomben schwer getroffen und brannten aus. Die Stadt Wiesbaden, die sich als Eigentümerin der Anlage wähnte, ließ daraufhin die Mauern des Ostflügels komplett abbrechen. In den noch bewohnbaren Teilen des Schlosses wurden Kriegsflüchtlinge notdürftig untergebracht. Die verbliebene Ausstattung wurde gestohlen oder verheizt und das Schloss verwahrloste völlig.

Erst der Einzug von drei Filminstitutionen 1949 in den Ostpavillon brachte mit der neuen Nutzung schließlich auch die Rettung des Baudenkmals. Seit 1962 ist im Schloss in der Hauptsache das Landesamt für Denkmalpflege Hessen untergebracht, die Bau- und Kunstdenkmalpflege im Westflügel, die Archäologie und Paläontologie im 1981/82 in Angleichung wieder errichteten Ostflügel. Dieser bietet u.a. auch der Deutschen Film- und Medienbewertung Raum. Die ehemalige sala terrena und spätere Kapelle wird heute als Café/Restaurant bewirtschaftet.

Literatur