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exground filmfest 36

Vom 17. bis 26. November 2023 präsentiert exground filmfest in seiner 36. Ausgabe wieder ein umfassendes Film- und Rahmenprogramm in Wiesbaden. Gezeigt werden sowohl lange als auch kurze Werke in den Gattungen Spielfilm, Dokumentarfilm, Animation und Experimentalfilm. Begleitende Diskussionen, Ausstellungen, Lesungen, Konzerte sowie die exground youth days ergänzen das nationale und internationale Filmangebot. 

Länderfokus Chile 

In diesem Jahr richtet exground filmfest den Blick nach Chile. In elf Langspielfilmen und dokumentarischen Formen sowie einem Kurzfilmprogramm aus dem laufenden und vergangenen Jahr stellt der Länderfokus chilenische junge Filmschaffende in den Mittelpunkt. Die Filme blenden auch in die Vergangenheit hinein, darunter bis zum tragischen Jahr 1973, als die chilenische Regierung durch Pinochets Putsch gestürzt wurde. Die bis 1990 andauernde Militärdiktatur hinterließ tiefe Spuren in der chilenischen Gesellschaft und wirkte sich zweifelsohne auch auf die chilenische Kinematografie stark aus. Dieses schwere Erbe gilt es noch immer zu überwinden. Im Rahmen dieses Programms werden auf ernsthafte, aber auch komische Art wichtige Fragen geklärt, in einem Amalgam aus Willen zu emanzipatorischer Kunst und gelebter Demokratie.  

Eröffnungsfilm 1976 von Manuela Martelli

Eröffnet wird exground filmfest 36 mit dem präzise inszenierten Politthriller 1976 (CHI 2022) von Manuela Martelli, der inmitten des chilenischen Staatsterrors des Jahres 1976 spielt. Carmen lebt als Hausfrau und Gattin eines angesehenen Arztes ein gutbetuchtes, gutbürgerliches Leben. Die Kinder sind aus dem Haus, und das Ehepaar hat sich mit der Militärdiktatur arrangiert. Als die Ehefrau die Renovierung ihres Sommerhauses am Meer betreut, bittet sie ein befreundeter Priester, einem verwundeten Mann zu helfen. Sie beschließt, ihr wohlbehütetes Dasein hinter sich zu lassen, und übernimmt heimlich die Pflege des Angeschossenen. Manuela Martellis viel beachtetes Regiedebüt zeigt sie als Meisterin eines ruhigen, metaphernreichen Inszenierungsstils. Die Bilder sind opulent, untermalt von atmosphärischer Musik und elegantem Schauspiel.

Eröffnungsfilm exground youth days 

Eine weitere Eröffnung aus weiblicher Hand ist der Coming-of-Age-Film LIGHT LIGHT LIGHT (FIN 2023) von Inari Niemi, mit dem die exground youth days starten. Im Frühjahr 1986 explodiert in der Sowjetunion das Kernkraftwerk von Tschernobyl. Ein Mädchen namens Mimi kommt in ein Dorf in Südfinnland und erfüllt das Leben der 15-jährigen Mariia für einen Moment mit Licht. Nach 20 Jahren, als ihr Leben in eine Sackgasse geraten ist, besucht die erwachsene Mariia das Haus ihrer Kindheit und erinnert sich an den Sommer ihrer Jugend und den tragischen Herbst, der darauf folgte. In einer Flut von Erinnerungen wird Mariia gezwungen, sich ihrer Vergangenheit zu stellen. 

Highlights aus dem Programm 

Neben der chilenischen Filmkunst zeigt exground filmfest in der Reihe Made in Germany das preisgekrönte Drama LEERE NETZE (D/IRN 2023). Der Regisseur Behrooz Karamizadeh nutzt eine starke Bildsprache, um die Ungleichheiten in der Gesellschaft zu zeichnen. Der junge Iraner Amir heuert bei einem Fischer an der rauen Küste des Kaspischen Meeres an, um das Geld für die Heirat mit seiner großen Liebe Narges aufbringen zu können. Dabei verstrickt er sich in kriminelle Machenschaften illegaler Kaviar-Wilderei. Es offenbart sich eine beklemmende Parallelwelt, die Amirs Beziehung zu Narges verändert und ihn endgültig von der so sehr ersehnten Heirat entfernt.  

In der Reihe European Cinema ragt der Politthriller MINSK (EST 2022) des Regisseurs Boris Guts heraus. Ein frischverheiratetes Liebespaar gerät im August 2020 in den Tagen nach der manipulierten Präsidentschaftswahl in Belarus bei einem Abendspaziergang im Stadtzentrum von Minsk in die Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden sowie den vermummten und schwer bewaffneten Schlägern der Behörden, die ohne Vorwarnung auf alle einprügeln und auch Unbeteiligte festnehmen. Der in Echtzeit und in einer einzigen Einstellung gedrehte Film entfaltet eine peitschende Choreografie des Grauens.  

Nicholaus Goossens Komödie DRUGSTORE JUNE (US 2022) läuft in der Reihe American Independents. Nachdem die Apotheke in ihrer Kleinstadt ausgeraubt worden ist, nimmt eine junge Frau, das noch bei ihren Eltern wohnt, die Sache selbst in die Hand, um das Verbrechen aufzuklären, während sie gleichzeitig versucht, über ihren Ex-Freund hinwegzukommen und erwachsener zu werden. 

Ausstellung im Murnau-Filmtheater und Videokunst im Nassauischen Kunstverein

Neben der traditionellen Foto-Ausstellung im Murnau-Filmtheater, zeigt der Nassauische Kunstverein Wiesbaden im Rahmenprogramm vom 20. Oktober bis 17. Dezember den Film "Los Huesos" (2021) von Joaquín Cociña und Cristóbal León, den das MoMA in New York bereits für seine Sammlung erworben hat. Mit klassischen Stop-Motion-Effekten und einer Puppentrick-Animation, angelehnt an Władysław Starewicz’ Trickfilmexperimente mit Insekten, werden im Film zwei „Leichen“ und eine Puppe zum Leben erweckt. Die in schwarz-weiß erzählte Geschichte selbst spielt mit der Vergangenheit Chiles, in der die Schicksale von Diego Portales, einem Vertreter der Oligarchie, und Jaime Guzmán, einem Gefolgsmann des Diktators Pinochets, in der Hand eines kleinen Mädchens liegen.   

Über das Filmfest

Das exground filmfest in Wiesbaden gehört zu Deutschlands wichtigsten Filmfestivals für internationale, unabhängige Produktionen und ist ein bedeutender Treffpunkt für Journalisten, Fachbesucher und Gäste aus der Filmbranche.

Viele (Debüt-)Filme von inzwischen weltweit renommierten Regisseuren hatten in Wiesbaden ihre Deutschland- oder Europa-Premiere. Um nur einige wenige aus den vergangenen Jahren zu nennen: "9 Souls" von Toshiaki Toyoda, "Gerry" von Gus Van Sant, "The three burials of Melquiades Estrada" von Tommy Lee Jones, "Nokan" von Yojiro Takita, "Somewhere tonight" von Michael Di Jiacomo, "Gantz 2" von Shinsuke Sato, "After Lucia" von Michel Franco und "Betlehem" von Yuval Adler.

Zu Gast in Wiesbaden waren unter anderem Bundesfilmpreisträger Oskar Roehler, Oscar-Gewinner Les Bernstein, Katja Esson (nominiert für den Oscar), Susan Emshwiller (Drehbuchautorin von "Pollock"), Adam Green mit seinem Erstlingswerk "Gemstones crackin'", die New-Wave-Ikone Anne Clark sowie die deutschen Stars Josefine Preuß, Simon Gosejohann, Dietrich Brüggemann und Axel Ranisch.

Rahmenveranstaltungen wie Workshops, Ausstellungen, Konzerte, Partys und Podiumsdiskussionen ergänzen das Programm von exground filmfest.