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Alemannen

Im Stadtgebiet wurden verschiedene Grabstätten der Alemannen mit unterschiedlichen Grabbeigaben gefunden. Neben Schmuckgegenständen entdeckte man Fibeln, die in der Archäologie nach Wiesbaden benannt wurden.

Artikel

Als Alemannen bezeichnete sich eine ethnische Gruppe von Germanen, welche nicht zu den Altstämmen gehörte, wie sie etwa Tacitus für die Zeit des 1. Jahrhunderts n. Chr. aufzählt, sondern die sich erst im Laufe des 3. Jahrhunderts neu gebildet hat. Der im 6. Jahrhundert schreibende Historiograph Agathias von Myrina hat diese Art der Stammesbildung im Auge, wenn er die Alemannen als „zusammengerottete und gemischte Menschen“ bezeichnet und hinzufügt: „Und eben das drückt auch ihr Name aus“. „Alle Mannen“, „allerlei Leute“ – diese Wortbedeutung ist noch heute nachvollziehbar.

Nicht die Vorstellung von einer gemeinsamen Abstammung, sondern ein auf ein gemeinsames Ziel gerichteter politischer Wille war es, welcher die Identität der Alemannen begründete. Das wird auch daraus ersichtlich, dass sich zur gleichen Zeit neben den Alemannen weitere Germanengruppen in solchen Stämmen neu organisierten. Dabei ist auffällig, dass diese neuartigen Gruppierungen sich offensichtlich auf römische Provinzen als die Zielobjekte ihres politischen Handelns bezogen. Die Franken sahen sich in Frontstellung zur römischen Provinz Germania Secunda, die Sachsen betrachteten Britannien und die nur episodisch in Erscheinung tretenden Juthungen Rätien als ihre erstrebenswerten Ziele. Dementsprechend richteten die Alemannen ihr politisches Interesse auf die Provinz Germania Prima, ehedem Obergermanien, zunächst einmal als Zielgebiet für Raubzüge und Plünderungen, letztlich aber auch als möglichen Expansionsraum im Sinne von Landnahme und Ansiedlung.

Einen ersten großen Erfolg konnten die Alemannen verbuchen, als sie sich bald nach der Mitte des 3. Jahrhunderts in den Besitz der rechtsrheinischen Territorien der Provinz Germania prima setzen konnten. Nach dem Zusammenbruch der römischen militärischen Organisation am Obergermanischen Limes ist das so genannte Dekumatland (agri decumates) unter die Herrschaft der Alemannen gelangt und damit auch das Gebiet der Stadt Wiesbaden. Hier stand der Herrschaftsanspruch der Alemannen freilich in Konkurrenz mit den römischen Bestrebungen, das rechtsrheinische Vorfeld der Provinzhauptstadt Mogontiacum/Mainz möglichst weitgehend zu kontrollieren, ja diesen Brückenkopf weiterhin als Teil der eigenen Provinz zu behaupten.

Aus dem geschilderten, auf die Germania prima gerichteten politischen Interesse der Alemannen ergibt sich, dass sich ihr Trachten in besonderem Maße auf die Provinzhauptstadt fokussiert haben muss, dass demzufolge das rechtsrheinische Vorfeld von Mogontiacum/Mainz samt den alten Aquae Mattiacae für den Alemannen-Stamm eine erstrangige strategische Bedeutung gehabt haben muss. Ebendieses wird sowohl durch die schriftlichen wie auch durch die archäologischen Quellen bestätigt.

So berichtet der römische Geschichtsschreiber Ammianus Marcellinus im Zusammenhang mit einem Feldzug der Römer im Jahr 371 n. Chr. von einem alemannischen Teilstamm (gens … Alamannica) namens Bukinobanten (Bucinobantes), das bedeutet soviel wie „Buchenwald-Anwohner“. Dieser Stamm sei ansässig contra Mogontiacum, also gegenüber von Mainz, im Vorfeld von Mainz. Man kann es aber auch verstehen als „in Frontstellung gegen Mainz“, womit die politische Interessenlage jener Bukinobanten gekennzeichnet ist.

Jener Feldzug wurde vom römischen Kaiser Valentinian I. persönlich geleitet und richtete sich gegen einen König der Bukinobanten namens Makrian. Die Vorhut des römischen Heeres stieß unter dem Feldherren Severus zuerst gegen Wiesbaden vor (contra Mattiacas Aquas), es ist dies die letzte Erwähnung des alten römischen Namens von Wiesbaden in der antiken Literatur.

Makrian konnte sich den römischen Zugriff durch Flucht entziehen; an seiner Stelle wurde ein gewisser Fraomar als Stammeskönig eingesetzt, der sich aber auf Dauer nicht halten konnte … Die von Ammianus Marcellinus ausführlich geschilderten Ereignisse werfen ein helles Licht auf die Herrschaftsverhältnisse in dem zwischen Römern und Alemannen umkämpften Territorium zwischen Taunuskamm und Mainmündung.

Im Übrigen war der Feldzug Valentinians allem Anschein nach eine Vergeltungsmaßnahme für einen Überfall auf Mainz, welchen ein alemannischer Stammesführer (regalis) namens Rando drei Jahre zuvor unternommen hatte. Er hatte den günstigen Moment abgepasst, als die Stadt gerade von Truppen entblößt war und als man dort zudem einen christlichen Feiertag, vermutlich Ostern, beging. Rando konnte Mainz mit einer Schar von Plünderern einnehmen und ist danach mit reicher Beute wieder abgezogen. Wie es bei Ammianus Marcellinus heißt, hatte er diesen Coup von langer Hand geplant (diu praestruens, quod cogitabat); also ist er wohl kaum plötzlich aus den Tiefen Germaniens aufgetaucht, sondern er hatte das Objekt seiner Begehrlichkeit schon seit längerem im Auge, am ehesten von Aquae Mattiacae aus.

Diese Nachrichten aus der Regierungszeit des Kaisers Valentinian erhellen schlaglichtartig die Bedeutung, welche die Wiesbadener Region in der Spätantike sowohl für die Römer als auch für die Alemannen besessen hat. Dieser Einschätzung entspricht in seiner Weise auch der archäologische Befund. Der Versuch römischer Interessenwahrung manifestiert sich in der Anlage der Heidenmauer, ist aber letztlich gescheitert.

In anderer Weise sind die Gegenspieler der Römer, die Alemannen, archäologisch nachzuweisen. Dabei ist zu wissen, dass die archäologische Überlieferung für die frühalemannische Zeit im Gebiet des ehemaligen Dekumatlandes generell ausgesprochen dürftig ist:

Nicht allein Siedlungsfunde sind selten, auch die aus der vorausgehenden römischen ebenso wie aus der anschließenden merowingischen Epoche überaus zahlreich überlieferten Grabfunde haben geradezu Seltenheitswert; nur hie und da treten einzelne Bestattungen oder allenfalls minimale Grabgruppen in Erscheinung. Vor diesem Hintergrund wirkt die Fundüberlieferung für das Stadtgebiet von Wiesbaden geradezu üppig.

Innerhalb des seit langem aufgegebenen Steinkastells des 1. Jahrhunderts n. Chr. ist ein Doppelgrab von Mann und Frau gefunden worden. Weitere Gräber fanden sich unweit davon am Südost-Abhang des Michelsberges, sowohl außerhalb als auch innerhalb der Heidenmauer. Ferner fanden sich einzelne Gräber in Bereich von Kirchgasse/Friedrich-/Luisenstraße, vermutlich mit topographischem Bezug auf den dort gelegenen alten römischen Friedhof. Weiter abseits wurde ein einzelnes Grab in der Waldstraße festgestellt.

In allen Fällen waren die Toten unverbrannt beigesetzt (Körpergräber). Den Männern waren Waffen wie Langschwert, Streitaxt und Lanze beigegeben, den Frauen hingegen allerlei Schmuckgegenstände wie Halsketten aus Glas- und Bernsteinperlen, Hals- und Ohrringe, Haarnadeln und vor allem Fibeln. Eine spezielle Form dieser Gewandhaften, Fibeln nämlich aus Silber- oder Bronzeblech mit rautenförmigem Fuß, werden in der archäologischen Fachsprache geradezu als „Fibeln vom Typ Wiesbaden“ bezeichnet, eben weil sie in Wiesbaden zum ersten Mal in ausgeprägter Form in Erscheinung getreten sind. Überhaupt gelten die frühalemannischen Grabfunde von Wiesbaden wegen ihrer vergleichsweise großen Zahl und dank dem Umstand, dass sie schon 1911 durch Eduard Brenner publiziert worden sind, als idealtypisches Beispiel für den frühalemannischen Fundhorizont.

Was hingegen den Ort und die Gestalt der Wohnstätten jener am Michelsberg und an den anderen Plätzen beigesetzten Alemannen angeht, so fehlen handfeste archäologische Zeugnisse. Man wird nicht fehlgehen, sie im Gebiet der Quellen zu vermuten, wo auch schon die Siedlungsareale der römischen Zeit gelegen haben (Römerzeit). Dass außerhalb des engeren Wiesbadener Stadtgebietes, beim Bau der ICE-Trasse nahe Breckenheim nämlich, eine Siedlungsschicht der frühalemannischen Zeit festgestellt worden ist, sei nur am Rande erwähnt.

An die Zustände der (spätantiken bzw. völkerwanderungszeitlichen) frühalemannischen Zeit konnte die frühmittelalterliche Periode der Franken- bzw. Merowingerzeit vielfach nahtlos anknüpfen. Im Kerngebiet von Wiesbaden blieb nicht nur der Siedlungsbereich konstant, auch der Bestattungsplatz an der Schwalbacher Straße knüpft erkennbar an das zuvor benutzte Friedhofsareal an. Von den aus diesem Gebiet in Form von Einzelfunden vorliegenden frühchristlichen Grabsteinen, den ältesten Zeugnissen des Christentums in Wiesbaden, könnte der eine oder andere bereits in spätantik-alemannischer Zeit aufgestellt worden sein. Schließlich reichen einzelne der hauptsächlich im frühen Mittelalter belegten Reihengräberfelder im weiteren Umfeld der Wiesbadener Kernsiedlung mit ihren ältesten Bestattungen bis in die frühalemannische Zeit zurück (Schierstein und Kostheim).

Literatur