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Bahnhöfe

Bereits seit 1840 war Wiesbaden von Frankfurt aus durch die Taunusbahn an das Eisenbahnnetz angeschlossen. Es folgten die Verbindungen Richtung Rüdesheim und schließlich mit der Hessischen Ludwigsbahn die Strecke Wiesbaden-Niedernhausen. Alle drei Bahnlinien besaßen zunächst ihren eigenen Bahnhof in der Stadt.

Details

Die ersten Bahnhöfe in Wiesbaden konzentrierten sich im Süden des Historischen Fünfeckes an der Rheinstraße. Zunächst ist 1840 der Taunusbahnhof als Endpunkt der Taunusbahn von Frankfurt her entstanden. Er ähnelte mit seinem Kopfgebäude und der kleinen Bahnsteighalle dem Taunusbahnhof in Frankfurt. Unmittelbar westlich hiervon kam 1857 der Bahnhof der rechten Rheinstrecke Richtung Rüdesheim hinzu. Das klassizistische Formen aufweisende Empfangsgebäude des so genannten Rheinbahnhofes ist erst 1868 fertiggestellt worden. Im Gegensatz zum Taunusbahnhof war es nicht als Kopfgebäude zur Rheinstraße angelegt worden, sondern parallel zu den Gleisanlagen. Von beiden Bahnhöfen ist heute nichts mehr vorhanden; ihre Standorte sind in den Rhein-Main-Hallen aufgegangen.

1879 trat die Hessische Ludwigsbahn mit der Strecke nach Niedernhausen auf. Im Unterschied zu den beiden vorgenannten Bahnhöfen legte sie kein neues Empfangsgebäude an, sondern übernahm eine bereits existierende Villa für ihre Zwecke. Das Museum Wiesbaden besetzt seit 1915 die Stelle des Bahnhofes der Ludwigsbahn. Ab 1889 nahm der Rheinbahnhof noch die Züge der Aartalbahn nach Langenschwalbach, heute Bad Schwalbach, auf.

Diese Anordnung von drei Kopfbahnhöfen unmittelbar nebeneinander, die von drei unterschiedlichen Betreibern angelegt worden waren, ist grundsätzlich typisch für die Frühphase des Eisenbahnwesens und kann für diese Epoche in vielen größeren Städten des deutschen Raumes beobachtet werden. Wie andernorts auch, erwiesen sich die drei Bahnhöfe als beengt und wenig leistungsfähig. Das Umsteigen von einem zum anderen Bahnhof war umständlich und zeitaufwändig. Erschwerend trat der auf die drei Bahnhöfe verteilte lokale Güterverkehr hinzu.

Eine Wiesbadener Besonderheit bestand in der Führung der Fernreisezüge auf der Taunusbahn und der rechten Rheinstrecke an Wiesbaden vorbei; die Weltkurstadt war im Regelfall an den Fernverkehr nur mit Kurswagen angebunden, die in der Station „Curve“ – dem heutigen Bahnhof Wiesbaden Ost – oder Biebrich-Mosbach an die durchgehenden Züge an- beziehungsweise von diesen abgehängt wurden. Dies war eine der für Wiesbaden problematischen Konsequenzen der betrieblich unzulänglichen Bahnhöfe an der Rheinstraße.

Erschwert wurden die Verhältnisse durch den ab 1880 aufkommenden Konflikt zwischen der preußischen Staatsbahnverwaltung, zu der ab 1866 die rechte Rheinstrecke und ab 1872 die Taunusbahn zählten, und der in Mainz ansässigen Hessischen Ludwigsbahn (Eisenbahn). Wenngleich diese Auseinandersetzungen nicht annähernd die Schärfe und Relevanz gewannen wie in Frankfurt, so waren sie doch mitverantwortlich für die aus Wiesbadener Sicht völlig unbefriedigenden Bahnhofsverhältnisse. Auch die gemeinsame Verstaatlichung der Ludwigsbahn durch Preußen und Hessen-Darmstadt 1896/97, in deren Konsequenz Preußen der alleinige Betreiber von Eisenbahnen in Wiesbaden wurde, brachte zunächst keine Verbesserung mit sich. Offenkundig verzögerte die Staatsbahnverwaltung eine umfassende Neustrukturierung der Bahnanlagen in und um Wiesbaden.

Erst die Initiative des Oberbürgermeisters Carl Bernhard von Ibell, der es eingedenk seiner exzellenten Beziehungen zu Wilhelm II. verstand, den Kaiser für die Wiesbadener Bahnhofsfrage zu interessierten, brachte ab 1896 eine Wende: Nunmehr begann sich ein umfassender Umgestaltungsprozess abzuzeichnen, der im Zusammenhang mit dem Bau der Mainzer Umgehungsbahn und, damit verbunden, der Kaiserbrücke, ohnehin zunehmend unumgänglich geworden war. Kernpunkt der großen, bis Ende 1906 realisierten Umgestaltung war die Aufgabe der drei alten Bahnhöfe an der Rheinstraße und ihr Ersatz durch einen gegenüber den alten Bahnhöfen um 700 m nach Süden verschobenen, großzügig gestalteten neuen Hauptbahnhof.

Dieser Hauptbahnhof wurde als Kopfbahnhof angelegt. Seine Anlage auf der Westseite des Salzbachtales erwies sich als schwierig, da es im Bereich des Melonenberges zu erheblichen Hangrutschungen kam. Trotz der großzügigen Dimensionierung seiner Betriebsanlagen bedeutete das Berühren des Wiesbadener Hauptbahnhofes von Reisezügen der Relation von Köln nach Frankfurt oder Mainz einen Umweg gegenüber der bisherigen Führung von Biebrich-Mosbach an der rechten Rheinstrecke direkt zur Station „Curve“ an der Taunusbahn. Erschwerend kam der in einem Kopfbahnhof obligatorische, zeitraubende Fahrtrichtungs- und Lokomotivwechsel hinzu.

Jedoch erst unter der Ägide der Deutschen Bundesbahn kam es zu einer schrittweisen, sich über Jahrzehnte hinziehenden Verlagerung von durchlaufenden Reisezügen vom Wiesbadener Hauptbahnhof nach Mainz. Seit seiner Eröffnung 1906 ist dies problematisiert und die Anlage eines Kopfbahnhofes als Fehlentscheidung charakterisiert worden. Wiederholt wurde der Ersatz durch einen Durchgangsbahnhof in Biebrich vorgeschlagen. Nahezu stets hat man in dieser Debatte die naturräumlichen Eigenheiten des Wiesbadener Stadtgebietes in einem dem Bahnbau grundsätzlich nicht förderlichen Talkessel übersehen. Ferner wurde hierbei der Umstand ignoriert, dass mit einer derartigen Planung ein Zentralbahnhof für Biebrich geschaffen und für Wiesbaden beseitigt würde. Die Aufgabe von Kopfbahnhöfen durch die Bundesbahn in Heidelberg (1955), Braunschweig (1960), Ludwigshafen (1969) und Kempten (1969) und ihr jeweiliger Ersatz durch moderne, aber peripher gelegene Durchgangsbahnhöfe hat in diesen Städten eine städtebauliche Anbindung der neuen Bahnhofsanlagen an die Innenstädte erst nach Jahrzehnten (Heidelberg) oder gar nicht (Braunschweig, Ludwigshafen, Kempten) ermöglicht. Insoweit ist auch aus heutiger Sicht die Entscheidung für einen Kopfbahnhof in Wiesbaden als sachlich gerechtfertigt einzustufen. Die Verschiebung gegenüber den alten Bahnöfen nach Süden ging mit großmaßstäblichen städtebaulichen Umgestaltungen wie der Anlage des Ersten Ringes einher.

Ambitionierten Planungen zur städtebaulichen Inwertsetzung des Areals der aufgegebenen Bahnhöfe war, nicht zuletzt in Folge des Ersten Weltkrieges, kein Erfolg beschieden. Die in der Zwischenkriegszeit auf dem ehemaligen Bahngelände eingerichteten Grünanlagen Reisinger- und Herbertanlagen bieten zwar dem aus dem Hauptbahnhof heraustretenden Reisenden ein deutschlandweit einzigartiges, großartiges Entree, können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass selbst die Bahnhofsverschiebung von 1906 städtebaulich bis heute nicht vollständig geglückt ist.

Mit dem Bau des neuen Hauptbahnhofes war eine Verlegung der Aartalbahn unumgänglich geworden. Bereits am 2. Mai 1904 kam es zur Inbetriebnahme des Streckenabschnittes über das nördliche Biebrich mit den Stationen Nassauisches Landesdenkmal und Waldstraße zur Stammstrecke bei Dotzheim, der der Aartalbahn einen südlich auskragenden, den Verkehrswert der Nebenbahn entscheidend beeinträchtigenden Umweg bescherte. Hiermit verbunden war die Anlage einer abschnittsweise am 28. November 1904 und 1. Oktober 1906 eröffneten Verbindungsstrecke von der Station „Curve“ über den Bahnhof Waldstraße zum neu entstandenen Güterbahnhof Wiesbaden West im Westen der Stadt an der Dotzheimer Straße in der Nähe des Kleinfeldchens.

Mit diesem neuen, großzügig dimensionierten Bahnhof gelang es, den Ortsgüterverkehr mit Ausnahme des quantitativ weniger bedeutsamen und am Hauptbahnhof verbleibenden Eilgutverkehrs aus der Innenstadt völlig herauszunehmen. Für den Eisenbahnbetrieb war dieser Lösungsansatz sehr problematisch, da die Verbindungsstrecke von der „Curve“ zum Westbahnhof steigungsreich ist. Aufgrund der Eigentümlichkeiten der Wiesbadener Wirtschaftsstruktur überwog der Gütereingang sehr stark den Güterausgang, weswegen die Güterzüge von und zum Westbahnhof in der Lastrichtung die Steilstrecke befahren mussten. Während der Hauptbahnhof auf einer Höhe von 108 m situiert ist, lag der Westbahnhof auf 153 m Höhe. Nach einem jahrzehntelangen Niedergang in der Nachkriegszeit wird das Areal des mittlerweile beseitigten Westbahnhofes derzeit städtebaulich mit dem Künstlerviertel neu inwertgesetzt.

Die ältesten Bahnhofsgebäude im Stadtgebiet von Wiesbaden finden sich in Biebrich und Schierstein an der rechten Rheinstrecke. Sie sind in schlichten klassizistischen Formen um 1860 errichtet worden und entstammen somit noch der nassauischen Ära. Aus der Zeit der großen Umgestaltung der Bahnanlagen in und um Wiesbaden um die Jahrhundertwende datieren die Empfangsgebäude des in Biebrich an der Grenze zu Amöneburg gelegenen Ostbahnhofes sowie die Stationsgebäude der Aartalbahn in Biebrich (Landesdenkmal, Waldstraße) und Dotzheim. Von den auf Wiesbadener Stadtgebiet befindlichen Stationen der Strecke nach Niedernhausen (Erbenheim, Igstadt, Auringen-Medenbach) hat nur noch Igstadt einen Bahnhof mit Empfangsgebäude, welches in den 1920er-Jahren entstand. Während die Wiesbadener Stationen an der rechten Rheinstrecke (Biebrich, Schierstein) und an der Niedernhausener Linie ausschließlich dem Personennahverkehr dienen, konzentrieren sich der Nah- und der verbliebene, nur noch geringe Personenfernverkehr auf den Hauptbahnhof. Der Ostbahnhof wird im Personenverkehr von den Wiesbaden berührenden S-Bahn-Linien angefahren und dient ansonsten dem Güterverkehr. Mittlerweile spielt der Bahnhof in Kastel an der Taunusbahn sowohl im Güterverkehr als auch im Personenfernverkehr keine Rolle mehr, weist aber im Nahverkehr attraktive Verbindungen mit Wiesbaden und Frankfurt auf. Sein den im Zweiten Weltkrieg zerstörten wilhelminischen Vorgängerbau ersetzendes Empfangsgebäude von 1955 ist ein Beispiel für die sachlich-funktionale Formensprache der Wiederaufbauarchitektur.

Literatur