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Bücher, Christian

Ingenieur, Vorstandsvorsitzender der Wiesbadener Stadtwerke AG

geboren: 25. August 1878 in Kirberg (am Taunus)
gestorben: 18. November 1949 in Wiesbaden


Artikel

Christian Bücher war der Neffe des angesehenen Leipziger Nationalökonomen Prof. Karl Bücher (1847 – 1930) und älterer Bruder des langjährigen AEG-Vorstandsvorsitzenden Hermann Bücher (1882 – 1951). Bis zu seinem 17. Lebensjahr erhielt Christian Bücher Privatunterricht durch den Kirberger Dekan und Pfarrer Arnold Vogel, dem Sohn des verdienstvollen nassauischen Geschichtsforschers Christian Daniel Vogel.

Im Jahr 1899 nahm Bücher ein Ingenieurstudium am Rheinischen Technikum Bingen auf, welches er 1902 erfolgreich abschloss. Anschließend absolvierte er ein Ausbildungsjahr am Chemischen Laboratorium Fresenius. 1902 wurde er in den Dienst der Wasserwerksverwaltung der Stadt Wiesbaden übernommen und erwarb sich beim Ausbau des Wasserwerks Schierstein bald den Ruf eines hervorragenden Experten. Das Wasserwerk Schierstein war für die Versorgung Wiesbadens mit Trinkwasser deshalb von großer Bedeutung, weil absehbar war, dass das Wasserdargebot der Taunus-Tiefstollen nicht für die Versorgung der Großstadt ausreichen würde. Es galt deshalb, aus Rheinwasser Reinwasser zu machen. Bücher löste die Aufgabe mit Bravour. Mit der Bestellung zum Leiter des Wasserwerks 1922 begann der innerbetriebliche Aufstieg Büchers.

In den folgenden Jahren war Christian Bücher ein anerkannter Experte auf dem Gebiet der Kommunalwirtschaft in der Rhein-Main-Region. Er war maßgeblich für die Gründung der Kraftwerke Mainz-Wiesbaden AG (KMW) zur gemeinsamen Erzeugung von Elektrizität und Gas verantwortlich. Vorangegangen war die Umwandlung der Wiesbadener Städtischen Werke in eine Aktiengesellschaft. Bücher wurde 1930 bzw. 1931 in beiden Unternehmen Direktor bzw. Generaldirektor.

Am 1. Mai 1937 trat Christian Bücher in die NSDAP ein. Er war darüber hinaus Mitglied in der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, dem NS-Bund Deutscher Technik, dem Reichsluftschutzbund und im Reichsbund Deutsche Jägerschaft. In den Jahren 1933 bis 1939 spendete Bücher mehrere hundert Reichsmark an den NS-Opferring. Der NS-Opferring war eine auf Gauebene organisierte Einrichtung, die der Sammlung von Spenden und sonstigen Zuwendungen der NSDAP diente. Eine Parteimitgliedschaft war nicht erforderlich.

Aufgrund von Personalknappheit wies das Arbeitsamt Wiesbaden den Stadtwerken Zwangsarbeitskräfte zu, um die Versorgung mit Strom und Wasser sicherzustellen. So waren im Jahr 1943 bei den Stadtwerken Wiesbaden mindestens 35 Kriegsgefangene zwangsweise tätig. Zwangsarbeitskräfte mussten unter anderem beschädigte Wasser-, Gas- und Elektrizitätsleitungen reparieren. Neben den Kriegsgefangenen lassen sich mindestens fünf französische zivile Arbeitskräfte belegen. Bei den Stadtwerken waren sie als Busfahrer, Kraftfahrzeugmechaniker und Schlosser eingesetzt.

Bücher verfasste kurz nach Kriegsende einen Bericht über die Situation in der Stadt Wiesbaden kurz vor der Eroberung durch US-Truppen am 28. März 1945. Um diesen Bericht ist eine Erzählung entstanden, die Bücher in einen widerständischen Kontext zu stellen versucht und die eine noch genauere historische Aufarbeitung verdient hätte.

Im Bericht schildert der Direktor der Wasserwerke seinen Einsatz gegen die von NSDAP-Bürgermeister Felix Piékarski angeordnete Zerstörung der Wasser- und Stromleitungen sowie die Stilllegung des Wasserwerks.

Gemeinsam mit dem späteren Direktor der Stadtwerke Karl Stempelmann nahm Bücher nach eigener Darstellung am 27. März 1945 Kontakt zum Wiesbadener Wehrmacht-Kampfkommandanten Oberst Wilhelm Zierenberg auf und erreichte bei ihm ein Verbot der Zerstörung der Wasser-, Gas- und Elektrizitätswerke. Sabotageakte und Zerstörungsversuche sollen durch dieses Verbot verhindert und eine kampflose Übergabe der Stadt an die US-Armee erreicht worden sein.

Da der Kampfkommandant in Wiesbaden die Befehlsgewalt innehatte, handelte Bücher im Einvernehmen mit der letzten deutschen Führung der Stadt. Für eine Widerstandshandlung im engeren Sinne gibt es keinen Beleg, zumal die NS-Führung die Stadtführung bereits an die Wehrmacht abgegeben hatte. Im Bericht angeführte Sabotageakte lassen sich nicht belegen.

Christian Bücher leitete den Wiederaufbau zerstörter Anlagen der Versorgungswerke und verfolgte Pläne zur Errichtung von Stauseen zur Trinkwassergewinnung im oberen Rheingau. Am 31. März 1948 trat er nach 45 Dienstjahren in den Ruhestand.

Christian Bücher starb am 18. November 1949 in Wiesbaden und wurde auf dem Wiesbadener Südfriedhof beigesetzt. Die Veranstaltungshalle der ESWE in der Weidenbornstraße wurde 1990 nach ihm benannt.

Wegen der Artikulation nationalsozialistischer Ideologie im Rahmen einer Rede vor der Belegschaft der Wasserwerke, der Mitgliedschaft in verschiedenen NS-Organisationen, der Gesamtverantwortung als Vorstandsvorsitzender der Wiesbadener Stadtwerke AG für den Einsatz von Kriegsgefangenen und der damit verbundenen Beteiligung an der bewussten Schädigung von anderen Personen zwischen 1933 und 1945 empfahl die auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung 2020 berufene Historische Fachkommission zur Überprüfung nach Personen benannter Verkehrsfläche, Gebäude und Einrichtungen der Landeshauptstadt Wiesbaden die Umbenennung der Christian-Bücher-Straße. Der Ortsbeirat Schierstein folgte der Empfehlung in seiner Sitzung vom 13.03.2024 und benannte die Christian-Bücher-Straße in Hafenstraße um.

[Der vorliegende Text wurde von Klaus Kopp für die 2017 gedruckte Version des Stadtlexikons Wiesbaden erstellt und 2024 von Dr. Katherine Lukat überarbeitet und ergänzt]

Literatur