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Haushaltungsschule Amöneburg

In der 1889 gegründeten Haushaltungsschule Amöneburg konnten junge Mädchen nach dem Ende ihrer Volksschulzeit eine hauswirtschaftliche Ausbildung erhalten. Die Vermittlung praktischer Fähigkeiten wie das Kochen, Waschen oder Bügeln stand im hierbei im Mittelpunkt.

Details

Am 1. Mai 1889 gründeten Luise Dyckerhoff (1844-1937) und Elise Kirchner die „Haushaltungsschule der Portland-Cement-Fabrik Dyckerhoff & Söhne“ (Dyckerhoff GmbH) in Amöneburg.

Der erste Sitz dieses Instituts befand sich in einem der kleinen Arbeiterhäuschen des Unternehmens in der damaligen Blumenstraße 12, nicht weit vom Firmengelände entfernt. Das Angebot der Schule richtete sich in erster Linie an die Töchter der etwa 700 Arbeiter, die in dieser Zeit in Dyckerhoffs Unternehmen beschäftigt waren.

Es konnten aber, sofern genügend freie Plätze zur Verfügung standen, auch Mädchen aufgenommen werden, deren Eltern nicht in der Zementfabrik arbeiteten. Den jungen Menschen sollte nach Beendigung der Volksschule eine hauswirtschaftliche Ausbildung zuteil werden, die sie auf ihr künftiges Leben als Hausfrau und Mutter vorbereitete. Darüber hinaus konnte der Besuch der Haushaltungsschule dazu beitragen, unverheirateten Frauen ein Auskommen als Dienstmädchen zu sichern, denn mit einer guten Ausbildung ließ sich leichter eine vernünftige Stelle finden.

Als Luise Dyckerhoff, die Ehefrau des Mitbegründers der Zementfabrik, Gustav Dyckerhoff, auf Anregung ihrer Freundin Elise Kirchner das Institut ins Leben rief, hatte es gerade einmal Platz für neun Schülerinnen. In den folgenden Jahren wuchs die Zahl auf über 20 an. Da das Haus in der Blumenstraße 12 schnell zu klein geworden war, übersiedelte die Schule zu Beginn der 1890er-Jahre in das wesentlich größere, eigens errichtete Haus in der Blumenstraße 14.

Wahrscheinlich im Jahr 1912 erfolgte der Umzug in das Gebäude der ehemaligen Volksschule, das die Firma Dyckerhoff zwischenzeitlich von der Stadt Mainz, wohin Amöneburg 1908 eingemeindet worden war, erworben und den Anforderungen der Haushaltungsschule entsprechend umgebaut hatte. Die dort vermittelte, zehn Monate dauernde Ausbildung, die stets im Mai begann, umfasste Kenntnisse aus verschiedenen Bereichen des Haushalts, zum Beispiel Kochen, Backen, Waschen, Bügeln, Nähen, Stricken, Flicken und Zuschneiden. Darüber hinaus wurden die Mädchen in Gartenarbeit unterwiesen und, vermittels der schuleigenen „Kleinkinderschule“, also dem Kindergarten, an den Umgang mit Kindern und deren Erziehung herangeführt. Der Unterricht war in einen theoretischen und einen praktischen Teil untergliedert, wobei die Praxis deutlich überwog.

Auf die Theorie, wozu beispielsweise Ernährungskunde oder Preisberechnung zählte, entfiel im Großen und Ganzen nicht mehr als eine Stunde am Tag. Schließlich ging es nicht darum, die Mädchen „zu verbilden“, sondern ihnen ein für ihr Alltagsleben nützliches Wissen zu vermitteln.

Zweifellos waren es soziale Überzeugungen, die Luise Dyckerhoff und ihren Mann veranlassten, die Haushaltungsschule, einschließlich des Kindergartens und des kurze Zeit später hinzu gekommenen „Knabenhorts“, zu gründen und zu finanzieren. Das aber dürften nicht die alleinigen Beweggründe gewesen sein.

Hinzu kam die Hoffnung, die relativ hohe und durchaus übliche Fluktuation in der Arbeiterschaft, vor allem während der Sommermonate, durch eine stärkere Bindung an das Unternehmen zu verhindern. Außerdem dürften Überlegungen, wie sie Fritz Kalle in seinem Buch über „Die hauswirtschaftliche Unterweisung armer Mädchen in Deutschland und im Ausland“ festgehalten hatte, eine Rolle gespielt haben. Kalle vertrat die Ansicht, dass die Leistungsfähigkeit des Arbeiters durch eine vernünftige Haushaltsführung verbessert würde.

Gesunde und ausgewogene Ernährung sowie die Fähigkeit der Ehefrau, den Lohn, den der Mann nach Hause brachte, bis zum nächsten Zahltag sinnvoll einzuteilen, würden den Arbeiter kräftiger und gesünder machen, weil er zufrieden und ausgeglichen war, sich mit der Familie verbunden fühlte, deshalb nicht – oder seltener – ins Wirtshaus ging und sein Geld schon gar nicht mit unsittlichem Tun verschwendete. Das wiederum, so konstatierte Kalle, sei „auch für den Arbeitgeber von unmittelbarem Vorteil“.

Im Jahr 1914 feierte die Haushaltungsschule, für deren Einrichtung die Firma Dyckerhoff bei der Weltausstellung in Paris 1900 mit der Silbermedaille für „Sociale Wohlfahrtspflege“ ausgezeichnet worden war, ihr 25-jähriges Bestehen.

Das Jahr 1914 stellte in mehrfacher Hinsicht eine Zäsur dar: Zum einen brach der Erste Weltkrieg aus, dessen fatale Auswirkungen auch vor der Haushaltungsschule nicht Halt machten, und zum anderen zogen sich Elise Kirchner und Luise Dyckerhoff von ihren Ämtern zurück. Sie übergaben die Leitung des Instituts der nachfolgenden Generation.

In den 1920er-Jahren musste die Haushaltungsschule schließen. An ihre Stelle traten eine Nähschule und ein Kindergarten, der 1981 geschlossen wurde. 2006 wurde die „Dyckerhoff Villa Bambini“ gegründet und damit an die Tradition angeknüpft.

Literatur