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Nassauischer Kommunallandtag

1868 wurden die Regierungsbezirke Wiesbaden und Kassel zur preußischen Provinz Hessen-Nassau vereinigt. Anstelle eines gemeinsamen Provinziallandtages richtete man zwei kleinere Kommunallandtage als Selbstverwaltungsorgane in den Regierungsbezirken ein.

Details

Am 3. Oktober 1866 wurde Nassau offiziell in das Königreich Preußen eingegliedert. Ein halbes Jahr später, am 22. Februar 1867, erfolgte dann die Einrichtung des preußischen Regierungsbezirks Wiesbaden. Als „Hauptstadt“ des Regierungsbezirks Wiesbaden fungierte die alte nassauische Kapitale Wiesbaden. Folglich befand sich hier auch die oberste Verwaltungsbehörde des Regierungsbezirks, das Regierungspräsidium, an dessen Spitze der Regierungspräsident stand.

Als erster Regierungspräsident in Wiesbaden amtierte Gustav von Diest. Mit der Umgestaltung der administrativen Strukturen verbunden war auch die Neuordnung der überörtlichen Kommunalvertretungen. So kam es im Zuge der am 26. September 1867 neu erlassenen Kreisordnung für den Regierungsbezirk Wiesbaden zur Einrichtung von „Versammlungen der Landkreise“, den Kreistagen, die sich aus den Bezirksräten der früheren nassauischen Ämter, zuzüglich solcher Grundbesitzer, die eine Jahressteuer von mindestens 500 Gulden entrichteten, zusammensetzten.

Aus diesen Kreisvertretungen sollte ein Kommunallandtag hervorgehen. Üblicherweise gab es in den preußischen Provinzen Provinziallandtage, deren Mitglieder von den Vertretern der Kreistage oder – in den Städten – von den Magistraten bzw. Stadtverordneten gewählt wurden. Für die am 7. Dezember 1868 neu gegründete preußische Provinz Hessen-Nassau wollte man von Seiten der Staatsregierung jedoch darauf verzichten, ein solches Gremium zu schaffen, da die beiden Regierungsbezirke Wiesbaden und Kassel, aus denen die Provinz bestand, im Hinblick auf ihre Sozial- und Wirtschaftsstruktur so verschieden waren, dass ein Provinziallandtag, der die Interessen beider Bezirke auf einen Nenner zu bringen hatte, an dieser Aufgabe scheitern musste. Die Einrichtung kleinerer Kommunalverbände erschien daher günstiger.

Zum einen waren sie weit weniger schwerfällig als die Provinziallandtage, und zum anderen hoffte man, dass diese vergleichsweise kleinen Gremien von parteipolitischen Infiltrationen und Streitigkeiten frei blieben, so dass sie als unpolitische Sachverständigenkommissionen wirken konnten. Vor diesem Hintergrund kam es schließlich – auf der Basis der Verordnung vom 26. September 1867 – zur Bildung des Kommunallandtags in Wiesbaden, der erstmals am 19. Oktober 1868 zusammentrat und die Funktion einer regionalen Selbstverwaltungskörperschaft wahrnahm. Geführt wurde das Gremium von einem Verwaltungsausschuss, der aus dem Vorsitzenden des Kommunallandtags und sechs gewählten Abgeordneten bestand.

Ab 1873 stand diesem ständigen Ausschuss, später Landesausschuss genannt, der vom Landtag gewählte Landesdirektor, in der Folge als Landeshauptmann bezeichnet, vor. Als erster bekleidete diese Position der Jurist und stellvertretende Direktor der Nassauischen Landesbank (Nassauische Sparkasse), Christian Wirth (1826-1895).

Zu den Zuständigkeiten und Kompetenzen des Kommunallandtags, der vor allem jene Tätigkeiten wahrnahm, „die von den Städten und Gemeinden nicht allein bewältigt werden konnten“, gehörten in erster Linie soziale Aufgaben, zum Beispiel die „Fürsorge für die Irren und Taubstummen“, wie jene, die in der Heil- und Pflegeanstalt Eichberg oder im Taubstummeninstitut in Camberg untergebracht waren, außerdem der stets als wichtig empfundene und daher besonders geförderte Neubau „chaussierter Verbindungsstraßen“, weshalb der Landtag auch als „Chausseeparlament“ verspottet wurde. Zusätzlich kümmerte sich der Kommunallandtag um die Nassauische Landesbank, die Nassauische Sparkasse und die Nassauische Brandversicherung.

Als Folge verschiedener Gesetze, die in Preußen zwischen 1872 und 1884 erlassen worden waren und den Verwaltungsaufbau betrafen, kam es auch in der Provinz Hessen-Nassau zu Veränderungen, die der Wiesbadener Regierungspräsident Lothar von Wurmb schon 1879 energisch eingefordert hatte: Nach keiner sozialen und geschäftlichen Richtung hin sei es in der Provinz Hessen-Nassau zu einem Zusammenschluss von Behörden oder Anstalten gekommen.

Es gebe, so klagte er, nicht einmal einen Provinziallandtag. Stattdessen bestünden drei Kommunallandtage – in Kassel, in Frankfurt und in Wiesbaden – nebeneinander; außerdem bestünden, daraus resultierend, diverse Verwaltungsbehörden, die sich mit einer Materie beschäftigten, aber ohne Absprache agierten und entsprechende Kosten verursachten. Das sei auf die Dauer untragbar.

1885/86 war es damit vorbei. In dieser Zeit traten das Gesetz über die Kreis- und Provinzialordnung sowie das Gesetz über die allgemeine Landesverwaltung in Hessen-Nassau in Kraft. Fortan gab es zum Beispiel 18 statt bisher 12 Kreise. Der Kommunallandtag in Wiesbaden hatte hiergegen zwar Einwände vorgebracht, die jedoch nicht verfingen. Das Gremium musste sich den Beschlüssen beugen.

Außerdem wurden Kreisausschüsse eingerichtet. Ihnen stand der Landrat des betreffenden Kreises vor. Ihre Aufgabe bestand in der Erledigung der laufenden Kreiskommunalgeschäfte, die sie stellvertretend für die Kreistagsabgeordneten ausführten. Über den Kreisausschüssen stand der neu geschaffene Regierungsbezirksausschuss, über den Bezirksausschüssen der Regierungsbezirke war der Provinzialrat angesiedelt. In den Bezirksausschüssen saßen der jeweilige Regierungspräsident, von der Regierung ernannte Mitglieder sowie vom Provinzialausschuss gewählte Personen.

Ähnlich verhielt es sich mit dem Provinzialrat. Hierin war der Oberpräsident der Provinz vertreten, außerdem ernannte und ebenfalls vom Provinzialausschuss gewählte Mitglieder. Beim Provinzialausschuss handelte es sich um die Exekutive des Provinziallandtags für die Provinz Hessen-Nassau, der die Geschäfte des Provinzialverbands erledigte. Dass es sich bei diesen Gremien nicht um demokratisch gewählte Einrichtungen handelte, war gewollt, denn Preußen favorisierte eine „obrigkeitsstaatliche Selbstverwaltung“.

Die Einrichtung dieser neuen Institutionen zwang die bislang in den Regierungsbezirken bestehenden Selbstverwaltungsinstanzen zu enger Zusammenarbeit. Das war insofern nicht leicht, als es kein Bindeglied – in Form eines Provinziallandtags – zwischen den Regierungsbezirken in Hessen-Nassau gab. Dass es nun einen Provinziallandtag geben sollte, bedeutete nicht, dass dieser mit jenen in anderen (alt-)preußischen Provinzen vergleichbar war.

Der Provinziallandtag in Hessen-Nassau, erstmals 1886 zusammengetreten, setzte sich nämlich aus den beiden Kommunallandtagen des Regierungsbezirks Wiesbaden, der inzwischen mit dem Kommunallandtag in Frankfurt fusioniert hatte, und dem des Regierungsbezirks Kassel zusammen. Die beiden Bezirke, so stellte man fest, seien viel zu unterschiedlich, als dass es möglich gewesen wäre, ihre Vertretungen, die jetzt nicht mehr Kommunallandtag, sondern Bezirksverband (Bezirkskommunalverband Wiesbaden) hießen, ad hoc zu verschmelzen. Es müsse noch einige Zeit verstreichen, ehe hieran gedacht werden könne. Insofern nahm die preußische Regierung – aus verschiedenen Gründen – noch viele Jahre nach der Eingliederung Nassaus gewisse Rücksichten auf die in dem Gebiet vorherrschenden Befindlichkeiten, Wünsche und Besonderheiten.

Literatur