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Nerobergbahn

Die Nerobergbahn, die 1888 eröffnet wurde, gehört heute zu den Wahrzeichen der Stadt Wiesbaden.

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„Konkurrenz hebt das Geschäft“, dieser kaufmännische Erfahrungssatz galt auch für die Stadtväter der Weltkurstadt Wiesbaden, die im 19. Jahrhundert in der Saison zum Treffpunkt der Welt (des Adels und des aufstrebenden Bürgertums) geworden war. Die Kurgäste wollten unterhalten werden und erwarteten vor allem eines: Abwechslung. Der Neroberg konnte dabei eine gewichtige Rolle spielen.

Als nämlich die Erfindung des Zahnstangenbetriebs durch den Elsässer Niklas Riggenbach (1817-1899) auch bei erheblichen Steigungen einen sicheren Bahnbetrieb ermöglichte, war der Weg frei für den Bau und Betrieb von Bergbahnen. 1884 wurde die Niederwaldbahn in Rüdesheim fertig gestellt. 1886 folgten Assmannshausen und 1887 Bad Ems. Drei dieser attraktiven Verkehrsmittel im unmittelbaren Umland forcierten die Überlegungen, auch den Neroberg durch eine Bahn zu erschließen.

Es gab eine Reihe von Interessenten, schließlich erhielt der Baden-Badener Unternehmer Carl Rudolph auf seinen Antrag vom 26. August 1886 hin die Konzession zum Betrieb einer „Drahtseil-Zahnstangen-Bahn“ auf den Neroberg. Problematisch war allerdings, dass die Geländeverhältnisse dazu zwangen, zum erklärten Unwillen der Wiesbadener das Nerotal mit einem Viadukt zu überbrücken. Dabei konnten sich die Kritiker auf Kaiser Wilhelm II. berufen, der bei einem Ausritt ausdrücklich die Verschandelung der Landschaft durch das Rudolphsche Bauwerk gerügt hatte.

Im März 1888 begannen die Bauarbeiten. Stadtingenieur Richter hatte die Arbeiten zu überwachen. Er legte Rudolphs Bevollmächtigten eine zweiseitige Mängelliste vor. Auch wenn die Mängelbeseitigung prompt erfolgte, so blieb man stadtseits misstrauisch. Und als der städtische Bauaufseher Baatz seinen Vorgesetzten schriftlich darüber informierte, dass der Schienenoberbau nicht fachgerecht vorgenommen werde, sah sich Richter zu der bissigen Randbemerkung veranlasst: „Also Flickarbeit von vornherein.“

Schließlich konnte am 25. September 1888 die feierliche Eröffnung der Bergbahn erfolgen. Anschließend vereinte ein opulentes Mahl alle am Bau Beteiligten in der Halle der Bergstation. Das Tagblatt gab genüsslich seinen Lesern das on-dit weiter, wenigstens am Ballastwasser habe man sparen können, weil die Insassen schwerer hinunter als Stunden vorher heraufgekommen seien. Bei der Aufstellung der Baukosten gab es lange Gesichter: An Stelle der ursprünglich veranschlagten Bausumme von 100.000 Mark kletterten die Kosten auf 222.352 Mark.

Technisch interessant ist, dass die Drahtseil-Zahnstangen-Bauart ausschließlich durch Wasserballast angetrieben wird. In den Tank des in der Bergstation stehenden Wagens wird jeweils nur so viel Wasser eingelassen, wie erforderlich ist, um den anderen Wagen nebst Fahrgästen aus der Talstation hinaufzuziehen. Die Nerobergbahn überwindet auf einer Länge von 438 m und einer durchschnittlichen Steigung von 19 % einen Höhenunterschied von 83 m.

Im ersten Geschäftsjahr 1888/89 wurden knapp 115.000 Fahrgäste befördert. 1889 eröffnete das Bachsteinsche Consortium (seit 1895: Süddeutsche Eisenbahn-Gesellschaft) die Dampfstraßenbahn Nerotal-Rheinufer. Von der Kooperation mit dieser Gesellschaft hatte sich Carl Rudolph viel versprochen. Doch die Zusammenarbeit der beiden Betriebe ließ von Anfang an zu wünschen übrig. Insbesondere eine Abstimmung der Fahrpläne war nicht möglich. Rudolph resignierte und veräußerte seine Bahn an das Consortium, das im Januar 1890 die Bergbahn in Betrieb nahm. Die kommenden Jahre verliefen ohne Zwischenfälle. Erst als die inflationäre Preisentwicklung nach dem Ersten Weltkrieg den Verfall der Währung zur Folge hatte und eine einfache Bahnfahrt 600 Mark kostete, warf die Süddeutsche Eisenbahn-Gesellschaft das Handtuch.

Zum 1. April 1925 ging der Betrieb auf die Stadt Wiesbaden über, die die Bahn 1942 den neu gegründeten Stadtwerken Wiesbaden AG übertrug. Den Zweiten Weltkrieg überstand die Bergbahn ohne größere Schäden. Nach Kriegsende beschlagnahmten die amerikanischen Besatzungstruppen die Bergbahn. Deutsche durften erst 1947 wieder mitfahren. In den nächsten Jahren führte die Bahn im hinteren Nerotal mehr oder weniger ein Schattendasein. Erst allmählich setzte sich die Meinung durch, dass die Bahn ein vorzügliches Denkmal der Stadt- und Technikgeschichte darstelle. Inzwischen steht die Gesamtanlage unter Denkmalschutz des Landes Hessen.

Um diese Geschichtsträchtigkeit nach außen deutlich zu machen, wurde das biedere „beige“ der beiden Waggons der Bahn abgelöst durch eine den Stadtfarben entsprechende blau-goldene Farbgebung. Ergänzt wurde dies durch die Banner des Viadukts in den nassauischen Farben blau-orange. Unter großem Publikumsandrang feierte man die Hundertjahrfeier 1988. Das „Geburtstagskind“ wurde arg strapaziert: 25.000 Besucher, darunter die Gäste einer Trauung auf der Bahn, wies die stolze Statistik aus. Nerobergbahn und Nerobergbahnfest gehören seitdem zu den beliebtesten Veranstaltungen der Wiesbadener. 1998 bildete sich ein Verein der Freunde und Förderer der Nerobergbahn. 1999 überließ die Stadt diesem das ehemalige Toilettenhäuschen neben der Talstation, das zu einem kleinen, aber feinen Bergbahnmuseum umgebaut wurde, eines der berühmten „Stadtmöbel“ des Stadtbaumeister Felix Genzmer.

Der Jahresabschluss 2010 wies eine Sensation aus: Aufgrund einer günstigen Kalenderkonstellation, Karfreitag ist traditioneller Saison-Eröffnungstag, weiter steigenden Publikumsinteresses und nicht zuletzt des Engagements der Mitarbeiter übersprang die Zahl der Beförderten die 250.000-er-Marke.

Literatur

Von Beginn an erfreute sich die Bahn großer Beliebtheit. wiesbaden.de/ Stadtarchiv Wiesbaden, F000-1094, Urheber: unbekannt
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