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Sender, Toni (auch Tony)

Sender, Toni (auch Tony)

Gewerkschafterin, Politikerin, Widerstandskämpferin

geboren: 29.11.1888 in Biebrich am Rhein

gestorben: 26.06.1964 in New York


Details

Schon früh rebellierte die mit den Vornamen Sidonie Zippora in das Biebricher Standesamtsregister eingetragene Kaufmannstochter gegen die autoritär-konservativen Erziehungsnormen ihres jüdischen Elternhauses. Nachdem sie den Besuch einer Handelsschule in Frankfurt am Main durchgesetzt hatte, nahm sie dort eine Bürotätigkeit bei einer Immobilienfirma auf. Wohl 1906 trat sie der noch kleinen Gewerkschaft der Büroangestellten bei und 1910 zudem der SPD. Im selben Jahr ging sie für eine Frankfurter Metallhandelsfirma nach Paris. Fortan engagierte sie sich nicht zuletzt in völkerverbindender Hinsicht für die Sozialistische Partei Frankreichs, die sie Jahre später zu ihrem Ehrenmitglied ernannte.

Wegen des Kriegsausbruchs musste sie 1914 nach Deutschland zurückkehren, wo sie sofort in der Antikriegsbewegung aktiv wurde. Im März 1915 nahm sie in Bern an der internationalen sozialistischen Frauenkonferenz gegen den Krieg teil. Während der Einberufung des Frankfurter SPD-Bezirkssekretärs für Hessen-Nassau Robert Dißmann zum Militär führte sie für diesen die Kriegsopposition in Südwestdeutschland an. Zusammen mit ihrem Freund und zeitweiligen Lebensgefährten gehörte sie 1917 zu den Gründern der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD). Für den Frankfurter Arbeiterrat fungierte Sender seit der Novemberrevolution im Jahr darauf als Generalsekretärin der Exekutive.

1919 übernahm sie die Redaktionsleitung der USPD-Zeitung „Volksrecht“. Im folgenden Jahr wurde ihr zusätzlich die der „Betriebsräte-Zeitschrift“ des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes übertragen, welche sie bis 1933 innehatte. Von März 1919 bis 1924 war sie in Frankfurt Stadtverordnete. 1920 wurde Toni Sender als Spitzenkandidatin der USPD im Wahlkreis 21 Hessen-Nassau in den Reichstag gewählt. Seit der Vereinigung der nichtkommunistischen Rest-USPD mit den Mehrheitssozialdemokraten im Herbst 1922 nahm sie ihre Mandate für die SPD wahr. Ab 1924 bis zum Frühjahr 1933 vertrat sie den Reichstagswahlkreis 28 Dresden-Bautzen. Auch während jener Jahre trat sie in ihrer südhessischen Heimat häufig als zündende Veranstaltungsrednerin auf, außerdem in Belgien, Frankreich und den USA. 1927 wurde sie in den Beirat der Deutschen Liga für Menschenrechte gewählt. Und 1928 wurde der rührigen Parteilinken überdies die Redaktion der SPD-Illustrierten „Frauenwelt“ anvertraut.

Toni Sender war fraglos eine der couragiertesten Verteidigerinnen der Weimarer Republik, weshalb sie auch von der NSDAP und den Deutschnationalen mit einer massiven Hetzkampagne überzogen worden ist. Zur Abwehr der drohenden NS-Machtübernahme propagierte sie den politischen Generalstreik, während sie die Einheitsfront-Appelle der KPD scharf zurückwies. Als nach dem Reichstagsbrand Ende Februar 1933 die Nazi-Angriffe gegen sie in offenen Morddrohungen gipfelten, blieb ihr nur noch die Flucht.

Vom Exil aus setzte sie ihren Kampf gegen die Nazis unbeirrt fort, zunächst von der Tschechoslowakei, seit dem Sommer 1933 dann von Antwerpen aus. Ende 1936 gehörte die 1934 vom Deutschen Reich ausgebürgerte Pazifistin neben vielen anderen prominenten deutschen Regimegegnern zu den Unterzeichnern des Pariser Volksfront-Aufrufs „Für Frieden, Freiheit und Brot!“. In den USA, wohin sie Ende 1935 emigriert war, musste sie sich zunächst als Auslandskorrespondentin für eine Pariser sowie eine Brüsseler Zeitung durchschlagen. Zugleich klärte sie unablässig über die Terrorherrschaft in ihrer Heimat auf. Mitte 1937 bot ihr eine ausgedehnte Europareise die Gelegenheit, sich vor Ort u. a. über den Bürgerkrieg in Spanien sowie die Volksfront-Regierung in Frankreich zu informieren.

Bald nach ihrer Rückkehr in die USA, noch 1937, schloss sich Sender der American Labor Party an. Im Anschluss an den Novemberpogrom 1938 begann sie umgehend damit, für die Übernahme von Bürgschaften zu werben, mittels derer deutschen Juden die Einwanderung in die USA möglich wurde. Auch ihre 1939 erschienene „Autobiography of a German Rebel“ hatte eine klare antinazistische Stoßrichtung. Im Sommer jenes Jahres reiste sie erneut nach Europa, um für ihr Buch zu werben. Zugleich wollte sie Material sammeln für eine Aufklärungsschrift über die deutsche Opposition gegen Hitler, wovon sie aber wieder Abstand nahm, damit die konspirative Logistik der Widerstandskader nicht gefährdet würde.

1940 organisierte sie erstmals gewerkschaftliche Einführungskurse für in den Vereinigten Staaten neu angekommene Flüchtlinge aus ihrem Heimatland und aus Österreich. Desgleichen sammelte sie einen eigenen Diskussionskreis emigrierter Gesinnungsfreunde um sich: die Toni Sender Group. Sie trat dem German American Congress for Democracy bei, einer ebenso antinazistischen wie antistalinistischen Gruppierung, deren Vizepräsidentin sie wurde. Ab 1941 erstellte sie im Dienste des Office of Strategic Services zahlreiche Studien, die für den Wiederaufbau in den meisten europäischen Ländern wichtig wurden. Auch der Aufruf „Für das Freie Deutschland von morgen“ vom Oktober jenes Jahres, eine Programmschrift der stark antikommunistisch ausgerichteten Association of Free Germans, deren Vorstandsmitglied sie war, trug ihre Unterschrift.

Anfang 1944 nahm Sender ihre Tätigkeit als Wirtschaftsexpertin in der Zentraleuropa-Abteilung der United Nations Relief and Rehabilitation Administration auf. Dem Schicksal der von den Nazis nach Deutschland gepressten Zwangsarbeitskräfte sowie den Überlebenden der KZs und NS-Mordfabriken, den Displaced Persons, galt ihr besonderes Augenmerk. Seit 1947 wirkte sie als Assistentin der Repräsentanten des US-Gewerkschaftsbundes American Federation of Labor (AFL) beim Wirtschafts- und Sozialrat der UNO, von 1950 bis 1956 schließlich in gleicher Funktion für den Internationalen Bund Freier Gewerkschaften (IBFG). Schärfste politische Kontroversen mit dem kommunistischen Weltgewerkschaftsbund waren unausweichlich. Die Annahme einer Konvention gegen die Sklaverei im Jahre 1956 sowie einer ebensolchen zur Abschaffung der Zwangsarbeit im Jahr darauf, welche indes erst 1959 in Kraft trat, war u. a. dem unermüdlichen Ringen Toni Senders zu verdanken.

Ihre Hoffnung, nach dem Krieg bald wieder nach Deutschland zurückkehren zu können, blieb unerfüllt. Dafür bemühte sie sich auf vielfältige Weise um die Verbesserung der elenden Lebensverhältnisse ihrer einstigen Landsleute. Ferner war sie seit dem Beitritt der westdeutschen Gewerkschaften zum IBFG auch deren Interessenvertreterin vor der UNO.

An Toni Sender mochten sich im Nachkriegsdeutschland nur noch wenige erinnern, darunter freilich ihr alter Freund, der frühere Reichstagspräsident Paul Löbe, und einige andere SPD-Spitzenpolitiker wie Erich Ollenhauer, Herbert Wehner und Willy Brandt, desgleichen Martin Hörner, SPD-Vorsitzender in Wiesbaden-Biebrich. Die bedeutendste einst in Hessen beheimatete Politikerin starb nach jahrelangem Leiden an der Parkinsonkrankheit in den USA, deren Staatsbürgerin sie 1943 geworden war. Bestattet wurde sie auf dem Beth Israel Friedhof in Woodbridge, New Jersey. Im Wiesbadener Stadtteil Biebrich sind ein Alten- und Pflegeheim sowie eine Kindertagesstätte nach ihr benannt, und auch mit der in der hessischen Landeshauptstadt ansässigen Toni-Sender-Akademie – Sozialistische Bildungsgemeinschaft, der Parteischule des SPD-Bezirks Hessen-Süd, wird an sie erinnert. Aus Anlass ihres 50. Todestages wurde zudem an ihrem Geburtshaus in der Stettiner Straße 6 in Wiesbaden-Biebrich eine Gedenktafel angebracht.

Literatur