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Abfallentsorgung

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Bis zum Ende des Mittelalters beschränkte sich die Abfallentsorgung auf die Entfernung des gröbsten Unrates. Zu Klagen über Geruchsbelästigung kam es in Bezug auf die Abwässer, die von den Badhäusern in offenen Rinnen in den Warmen bzw. Mühlbach geleitet wurden. Über ihnen wurden nicht selten von den Anliegern Aborthäuschen errichtet und Abfälle hineingeleitet. Seit dem 17. Jahrhundert mussten die Bürger daher einmal im Jahr den Bach »ausputzen«.

Größere Aufmerksamkeit wandte die Obrigkeit der Reinhaltung der Straßen und Plätze erst zu, seit Wiesbaden 1744 zum Verwaltungssitz und Behördenstandort geworden war. Die neu geschaffene Polizei-Deputation erließ 1770 eine »Gassen-Reinigungs-Ordnung«, die vorsah, alle Gassen und Plätze zweimal wöchentlich zu reinigen. Das Leeren und Ausfahren der sogenannten Priväts hatte wegen des unerträglichen Gestanks vor Anbruch des Tages zu erfolgen. In den Sommermonaten sollten alle Straßen zweimal täglich mit Wasser besprüht werden, um den Staub niederzuschlagen.

1813 wurde die tägliche Kehrpflicht eingeführt. Seit Mitte der 1850er-Jahre sammelten zehn bis zwölf Tagelöhner bis abends den Kot der Zugtiere in einem kleinen Ziehwagen ein. Seit 1854 gab es Bestrebungen, das Reinigen der Abtritte durch Einsatz von Pumpen ohne Geruchsbelästigung per Konzession an einen Unternehmer zu vergeben. Die Planungen scheiterten, weil man sich nicht auf einen geeigneten Platz für die Entsorgung einigen konnte. Nur zögerlich ging die Stadtverwaltung auf die Forderung der Regierung ein, die Stadtreinigung auf eigene Kosten zu übernehmen. 1877 standen durchschnittlich 30 Arbeiter beim Kehren und Gießen im Einsatz. Unter Oberbürgermeister Karl Bernhard von Ibell wurde die Kehrmannschaft auf 100 Köpfe aufgestockt. Auch ging man dazu über, die Fahrbahnen der Hauptstraßen während der Nacht zu reinigen. Straßenreinigung und die Abfallentsorgung wurden in den folgenden Jahren sowohl von öffentlicher Seite als auch von privaten Unternehmen vorgenommen.

Mangelnde Koordination führte zu großen Missständen und hygienischen Problemen. Um dieser Gefahr für die rasant wachsende Stadt zu begegnen, übernahm Ende des 19. Jahrhunderts die öffentliche Hand diese Aufgaben. Nach 1912 wurde die Müllabfuhr wieder privatisiert. Rund ein Dutzend Pferdefuhrwerke sorgte in der Folgezeit für den Abtransport der Abfallbehälter.

Mitte der 1920er-Jahre erfolgte die Automobilisierung der Müllabfuhr. Die Gebühren für die Entsorgung des Hausmülls lagen damals zwischen 1,5 und 5 % des Mietwerts, je nach Größe des Objekts. Wohnungen unter 300 Mark Mietwert waren von den Gebühren befreit. Bis 1900 wurden die Abfälle nur grob nach Glas, Blechdosen und Scherben sortiert. Wenige Kilometer vor der Stadt wurden nicht verwertbare Reste abgeladen und biologisch abbaubare Stoffe der Landwirtschaft übergeben. Da sich dieses Verfahren aufgrund der Bevölkerungszunahme als zunehmend unpraktikabel erwies, wurde 1906 eine Verbrennungsanlage errichtet. Bis zu 18 t konnten dort tgl. im Hochofen verbrannt werden.

Die Stadt war in Kehrbezirke eingeteilt, von denen, z. B. 1955, tgl. sechs gereinigt wurden, während in der Innenstadt mit dem Kurviertel die Straßen täglich zwei- bis dreimal gekehrt wurden. 1967 nahm die Stadt eine Müllzerkleinerungsanlage in Betrieb, die bei Fachleuten in aller Welt Beachtung fand. In den 1970er-Jahren waren rund 500 Personen mit der Reinigung der Straßen und der Entsorgung der Abfälle beschäftigt. Seit 1997 wurden die Abfallbeseitigung und die Straßenreinigung den ELW als neu gegründeten Eigenbetrieb der Stadt übertragen, die zudem für die Wiesbadener Kanalisation zuständig sind und heute (2014) über 700 Mitarbeiter beschäftigen.

Literatur

Bleymehl-Eiler, Martina: Stadt und frühneuzeitlicher Fürstenstaat: Wiesbadens Weg von der Amtsstadt zur Hauptstadt des Fürstentums Nassau-Ussingen, 2 Bde., ungedr. Diss. 1998.

Kopp, Klaus: Vom EIgenbetrieb der Stadt Wiesbaden zur Aktiengesellschaft. 75 Jahre ESWE Versorgungs AG 1930-2005. Hrsg: ESWE Versorgungs AG, Wiesbaden 2005.

Magistrat der Landeshauptstadt Wiesbaden (Hrsg.): 1876-1976. 100 Jahre Stadtreinigung Wiesbaden, Wiesbaden 1976.

Rahlson, Helmut im Auftrag des Magistrats (Hrsg.): Die öffentliche Gesundheitsoflege Wiesbadens. Von der Stadt Wiesbaden dargebotene Festschrift, Wiesbaden 1908.