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Arbeiter- und Soldatenrat

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Kurz nach Beendigung des Ersten Weltkriegs gründete sich am 09.11.1918 im Ersatz-Bataillon des 80. Füsilierregiments ein Soldatenrat, der auf dem Garnisonkommando in der Oranienstraße 5 die Kommandogewalt übernahm. Nach Kundgebungen im Gewerkschaftshaus und in der Wartburg erfolgte am Abend die Wahl eines Arbeiterrats: SPD und USPD stellten je acht Mitglieder. Soldaten- und Arbeiterrat fusionierten am folgenden Tag und bildeten einen Vollzugsausschuss für Stadt und Landkreis Wiesbaden.

Erste Aktionen waren ein Aufruf an die Bevölkerung, allen Anordnungen Folge zu leisten, sich aller Rangabzeichen zu entledigen und die Waffen abzugeben. In einer ersten in der Presse veröffentlichten Proklamation wurden das Ende der Monarchie und die Abdankung des Kaisers verkündet. Am Tag darauf fand eine gemeinsame Sitzung mit Vertretern von Stadtverwaltung und Regierung statt; Regierungspräsident Karl Wilhelm von Meister und die städtische Verwaltung stellten sich unter die Kontrolle des Arbeiter- und Soldatenrats. Damit war die Machtübernahme vollzogen. Es folgte eine Kundgebung auf dem Marktplatz, an der Tausende Menschen teilnahmen. In den Ansprachen wurden die Frage der Kriegsschuld, die Kaiserfrage und die Neuordnung des Staates erörtert.

Am 12.11. lud die Räteregierung die Presse zu einer Besprechung in ihre frisch bezogenen Diensträume im Erdgeschoss des Wiesbadener Stadtschlosses ein und verkündete ihre nächsten Aktionen. Am wichtigsten sei die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung, denn der Arbeiter- und Soldatenrat wolle Freiheit, aber keine Anarchie.

Zu den vordringlichen Aufgaben gehörte die Entwaffnung der zu Hunderten in die Stadt strömenden, aus Kriegsgefangenschaft entlassenen und demobilisierten Soldaten. Im Garnisonkommando wurde ein streng bewachtes Waffenlager eingerichtet, im Schloss hingegen ein Kleiderlager für abgelegte Uniformen und Schuhe. Sehr scharf wurde der sogenannte Schleichhandel verfolgt. Auf Plünderungen stand die Todesstrafe. Am 16.11. wurde die Aufhebung des Königlichen Hoftheaters und seine Umbenennung in Nassauisches Landestheater verfügt; die Leitung wurde einer gemischten Kommission unter Vorsitz des Regisseurs Ernst Legal übertragen. Wichtigste Aufgabe war die Ernährung der Bevölkerung und die Demobilisierung. Um drohender Arbeitslosigkeit vorzubeugen, wurde der Achtstundentag eingeführt und die Arbeitsvermittlung zentralisiert. Am 24.11. bildete die Räteregierung aus 400 in Wiesbaden ansässigen ehemaligen Soldaten eine Volkswehr.

Trotz des Elans, mit dem der Arbeiter- und Soldatenrat in kürzester Zeit drängende Probleme in der Stadt anpackte und viele auch löste, war sein Ende von vornherein absehbar. Insgesamt dauerte seine Herrschaft fünf Wochen; am 13.12.1918 wurde er mit dem Einmarsch französischer Besatzungstruppen aufgelöst.

Literatur

Streich, Brigitte: Die Kurstadt Wiesbaden im Ersten Weltkrieg. In: Residenz, Festung, Kurstadt 1914–1918, Darmstadt 2014 [S. 58–79].