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Brauereien

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Im 15. Jahrhundert wurde das in Wiesbaden konsumierte Bier zum größten Teil aus Bamberg und Mainz bezogen. Das lag vor allem daran, dass man im nahe dem Rheingau als nassauischem Hauptanbaugebiet von Wein gelegenen Wiesbaden darauf bedacht war, den Bierverbrauch möglichst fernzuhalten. Noch 1579 war die Biereinfuhr bei Strafe verboten, da der Preis teilweise weniger als die Hälfte des Weinpreises betrug. Trotzdem stieg der Bierkonsum im Raum Wiesbaden stetig an. 1803 klagten Eltviller Bierbrauer in Wiesbaden gegen Wirte, die ihr Bier billiger von der französischen Rheinseite bezogen. Sie bekamen Recht, das Bier der anderen Rheinseite wurde mit einem Eingangszoll belegt.

Das Wiesbadener Bier hatte zu diesem Zeitpunkt keinen guten Ruf, daher forcierte die Bierbrauerzunft Maßnahmen gegen die Einfuhr fremden Biers, um ihr Produkt weiter absetzen zu können. Dieser Vorstoß scheiterte 1812. Das nicht konkurrenzfähige Bier konnte sich auf dem inzwischen freien Markt nicht halten, und so wurde das städtische Brauhaus auf dem Michelsberg an der Ecke der Hochstättenstraße 1816 öffentlich versteigert.

Weitere Schwierigkeiten ergaben sich durch die Einführung einer allgemeinen Biersteuer im Jahr 1858. Die Folge war ein starker Rückgang der Produktionsmengen im Herzogtum Nassau. Wiesbaden bildete hierbei die Ausnahme. Mit 6.265,6 hl produzierten die fünf Wiesbadener Brauereien weit mehr als die durchschnittlich 150 hl der anderen nassauischen Brauereien. Zusätzlich wurden im gleichen Jahr noch 9.325,8 hl von auswärts eingeführt. Die in den Kasernen konsumierten, akzisefreien Mengen sind nicht bekannt.

Dennoch begannen auch für die Wiesbadener Brauereien mit der Biersteuer schwierigere Zeiten, vor allem, da sie zusätzlich eine städtische Akzise bezahlen mussten. Von 24 Brauereien im Amt Wiesbaden (in etwa die Fläche des heutigen Stadtkreises Wiesbaden ohne die östlichen Vororte) 1829 blieben bis Mitte der 1850er-Jahre nur 11 übrig. Bis 1866 gab es zwar wieder 19 Brauereien, im Stadtgebiet existierten aber um 1850 nur noch sieben Gasthaus-Brauereien. Diese Brauereien entsprachen den klassischen Kleinbetrieben Nassaus, die nur für den Verzapf an Ort und Stelle produzierten; den Gesamtbedarf der Stadt konnten sie nicht decken.

Nach wie vor mussten drei Viertel der jährlich konsumierten 19.200 hl Bier von auswärts bezogen werden. Um nicht länger von diesen Importen abhängig zu sein, fand sich 1857 ein Konsortium um den Hofgerichtsprokurator Karl Braun zusammen, um in der Walkmühle bei Wiesbaden eine mit Wasserkraft betriebene Brauerei zu gründen. Jährlich sollten hier ca. 30.000 hl Bier bayerischer Brauart hergestellt werden. Der versprochene Gewinn von 33 %, der den Gesellschaftern einen schnellen Absatz ihrer 3.500 Aktien ermöglichte, konnte zwar nicht erzielt werden, der Erfolg des Unternehmens führte aber 1862 zur Gründung einer zweiten »Wiesbaden Actien-Bierbrauereigesellschaft« an der Sonnenberger Straße. Der Bierausstoß sollte ebenfalls um 30.000 hl liegen. Nach hohen Verlusten entwickelte der Rentier Salomon Marix die Brauerei seit Anfang 1870 durch eine geschickte Führung und zahlreiche Neuerungen zur größten der Stadt. In den 1880er-Jahren ging sie in den Besitz des Berliner Kaufmanns Hermann Gratweil über, der sie 1887 in die »Wiesbadener Kronen-Brauerei Actien-Gesellschaft« umwandelte.

In dieser Zeit unter preußischer Verwaltung machte die Umwandlung der Kesselsteuer in eine niedrigere Braumalzsteuer den kleinen Brauereien das Leben schwer. In Folge hoher Gerstenpreise und geringer Absatzzahlen mussten weitere Gaststätten-Brauereien und Kleinbetriebe ihre Produktion einstellen.

1870 waren die Brauereien Marix und Bücher neben der Biebricher Brauerei Wuth die ersten, die mit Dampfmaschinen arbeiteten. Ein Jahr später setzte sich die Marix-Brauerei endgültig in Wiesbaden als erfolgreichstes Unternehmen durch und wurde im Folgejahr zur bedeutendsten Brauerei Südnassaus.

Neben schlechten Weinernten führte die zunehmende Anzahl von Bauarbeitern in Wiesbaden zu erhöhtem Bierkonsum. Außerdem brauten die Wiesbadener Brauereien inzwischen durchgängig ein schmackhaftes, untergäriges Schank- und Lagerbier nach bayerischer Methode. Diese deutliche Qualitätssteigerung und die Verwendung von großen Eisbereitungsmaschinen seit Mitte der 1870er-Jahre führten zur Etablierung eigener Marken und zur Verdrängung der bisher bevorzugten auswärtigen Biere.

Durch die zunehmende Industrialisierung setzten sich die großen Brauereien durch. In Wiesbaden gab es 1871 noch neun Brauereien, 1921 nur noch zwei. Die Germania-Brauerei in der Mainzer Straße und die Felsenkeller-Brauerei in der Bierstadter Straße produzierten noch bis in die 1960er-Jahre, bevor sie von der Frankfurter Brauerei Henninger übernommen und schließlich stillgelegt wurden.

Seit einigen Jahren gibt es mit der Wiesbadener Braumanufaktur wieder eine lokale Brauerei, die in Handarbeit verschiedene Craftbiere produziert.

Literatur

Even, Pierre: Das Brauwesen im Nassauer Land. In: Wiesbadener Leben 4/95 [S. 4–9] und 6/95 [S. 36 f.].

Theodor Schüler. Aufsätze zur Geschichte der Stadt Wiesbaden im 17.–19. Jahrhundert. Hrsg.: Neese, Bernd-Michael, Wiesbaden 2007.