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Herzogtum Nassau

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Die Bildung des Herzogtums Nassau hing unmittelbar mit dem Aufstieg Napoleons I. zum zeitweiligen Machthaber über den größten Teil Europas zusammen. Im Zuge der territorialen Flurbereinigung von 1803 gelang es den Fürsten Friedrich August zu Nassau-Usingen und Friedrich Wilhelm zu Nassau-Weilburg, ihr Territorium zu arrondieren und ab 1806 als Mitglieder des Rheinbundes ihre Herrschaft weiter auszudehnen. In diesem Jahr wurde die Gründung eines »untheilbaren und souverainen Staate(s) und Herzogthum(s)« vollzogen.

Außenpolitisch galt die Hauptsorge dem Erhalt der Selbstständigkeit. Es musste jeder Anlass vermieden werden, der die Existenz des Landes gefährden konnte. Mit besonderem Eifer kamen daher die Nassauer Regenten ihren Verpflichtungen aus dem Rheinbundvertrag nach, vor allem ihrer Pflicht zur Stellung von Soldaten für Napoleons Kriege. Von insgesamt 5.628 Mann, etwa zwei Prozent der Einwohnerschaft des Herzogtums, die Nassau auf Anforderung Napoleons in den Krieg auf die Iberische Halbinsel schickte, sahen 3.994 die Heimat nicht wieder, Verlustquote 62 %. Nach den Niederlagen Napoleons in Russland und in der Völkerschlacht bei Leipzig wechselten die Herzöge 1813 auf die Seite seiner Gegner und retteten so die Fortexistenz des Herzogtums auch über die Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress 1815 hinweg.

Das Herzogtum Nassau umfasste nach seiner endgültigen territorialen Abgrenzung nach einem Gebietstausch mit Preußen 1815/1816 rund 4.700 km2 mit 286.000 Einwohnern und stand damit unter den 39 Staaten des Deutschen Bundes an 12. Stelle. Die Wirtschaftsstruktur war ländlich-agrarisch geprägt; es gehörte zu den ärmeren Gebieten in Deutschland. Dringlichste Aufgabe der Regierung war es, dieses territoriale Konglomerat zu einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet und zu sozialer und kultureller Einheit zu verschmelzen.

Hauptverantwortlich für die innere Neuordnung des Staatswesens waren der Minister Freiherr Ernst Marschall von Bieberstein und sein enger Mitarbeiter, Regierungspräsident Karl Friedrich Justus Emil von Ibell, der in besonderer Weise den Erkenntnissen der Aufklärung und der Nationalökonomie, den Ideen des Rechtsstaates und der bürgerlichen Rechtsgleichheit verpflichtet war. Zentrales Reformziel war die Befreiung des Einzelnen von den korporativen Bindungen der ständisch geprägten Gesellschaft, der Abbau der Privilegien des Adels und die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz. Mit dem Reformpaket erwarb sich das Herzogtum Nassau in den ersten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts den Ruf eines kleinen deutschen Musterstaates und ein hohes Maß an Popularität bei seiner eigenen Bevölkerung.

1820 endete jedoch diese Reformära, nun schloss sich die nassauische Regierung der reaktionären Politik Metternichs an und wurde zum Inbegriff eines mit Polizeistaatsmethoden von seinem Monarchen zumeist schlecht regierten, überflüssigen Kleinstaates. Gängige Staatspraxis wurde die gezielte Einschüchterung jeder demokratischen Opposition durch willkürliche Festnahmen, Hausdurchsuchungen und Hochverratsprozesse. Insbesondere Herzog Adolph zu Nassau (reg. 1839–66) sah sich durch sein vermeintliches Gottesgnadentum zu alleiniger politischer Herrschaft berufen.

Das feudalistische Selbstverständnis der nassauischen Regenten fand seinen Ausdruck unter anderem in der Gleichsetzung von Staatsgütern mit fürstlichem Privatbesitz. Bei diesem sogenannten Domanialvermögen handelte es sich um eine Vermögensmasse von insgesamt rund 11,5 % der Landesfläche, darunter auch Bergwerke und Heilquellen, deren größter Teil erst seit dem Reichsdeputationshauptschluss überhaupt nassauisch geworden war. Im benachbarten Preußen und in Hessen-Darmstadt galt solcher »Domänenfiskus« als Staatsvermögen, die Bedürfnisse der jeweiligen Hofhaltung wurden als sogenannte Zivilliste über den Staatshaushalt finanziert. Im Herzogtum Nassau hingegen hatte dieses Vermögen ausschließlich der Hofhaltung und dem Privatbedarf des Herrscherhauses zu dienen.

Ein weiterer Konfliktpunkt war die Frage des Beitritts zum Deutschen Zollverein und der zeitweise Handelskrieg Nassaus gegen Preußen. Schließlich brachte Herzog Adolph auch durch seine völlig überzogene Jagdleidenschaft große Teile der Landbevölkerung gegen sich auf, die ihm an 50 bis 80 Tagen im Jahr als (bis 1848 unbezahlte) Treiber dienen und auch noch dulden musste, dass die für die Jagderfolge des Herzogs auf Veranlassung des Hofes in weiten Teilen des Landes vorgehaltene weit überhöhte Wilddichte fühlbare Ernteschäden verursachte.

So überrascht es nicht, dass die deutsche Revolution 1848 ihren Anfang in Nassau nahm und zur ersten revolutionären Großdemonstration in Deutschland am 04.03.1848 rund 30.000 Protestierende, überwiegend Bauern, in Wiesbaden zusammenkamen. Zwar ging Herzog Adolph unter dem Druck der Revolution von 1848 zum Schein auf die liberalen Forderungen ein, vollzog aber unter Bruch seines öffentlich gegebenen Wortes die reaktionäre Kehrtwende, sobald die veränderten Machtverhältnisse dies zuließen. Den letzten Rückhalt in der Bevölkerung verspielte er, als er in der Auseinandersetzung zwischen Preußen und Österreich den Beschluss der Volksvertretung für eine nassauische Neutralität missachtete und mit dem Militär gegen Preußen zog. So gehörte er zu den Verlierern des Krieges von 1866.

Am 18.07.1866 marschierten preußische Truppen kampflos in Nassau ein. Am 31.07. konnte der preußische Zivilkommissar Gustav von Diest eine Petition von 44 bekannten Liberalen und Unternehmern des Landes entgegennehmen, die für eine Annexion des Herzogtums durch Preußen plädierten. In keinem der 1866 von Preußen annektierten deutschen Gebiete gab es hiergegen so wenig Widerspruch aus der Bevölkerung wie im ehemaligen Herzogtum Nassau. Die Eingliederung des Herzogtums Nassau in das Königreich Preußen erfolgte am 03.10.1866.

Literatur

Jordan, Jörg: Im Schatten Napoleons. Staatsaufbau in Nassau und Stadtentwicklung in Wiesbaden, Regensburg 2014 (Schriften des Stadtarchivs Wiesbaden 13).

Schüler, Winfried: Herzogtum Nassau 1806–1866. Deutsche Geschichte im Kleinformat, Wiesbaden 2006 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau 75).