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Mühlen, Mühlenwesen

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Bei den Mühlen in der Kernstadt und den Vororten handelte es sich – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – um Wassermühlen. Die Energie zum Antrieb der allermeisten Mühlräder lieferten die zum Rhein und Main abfließenden Taunusbäche, allen voran jene, die sich zum Salz- bzw. zum Wickerbach vereinigen. Grorother und Weilburger Bach (Mosbach) traten als weitere Mühlbäche hinzu. Doch allein dem Salzbach gebührte uneingeschränkt der Name Mühlbach, denn er lieferte das Wasser auf über 25 Mühlräder an nur acht Mühlplätzen. Selbst der Weg, der den Bach von der Innenstadt bis an den Rhein begleitete, hieß, bevor ihm der Name »Mainzer Straße« gegeben wurde, ursprünglich »Mühlweg«. Alle fünf mit dem Salzbach zum Rhein hin orientierten Bäche verliehen etwa 40 Wassertriebwerken die Kraft, die Mühlentechnik in Bewegung zu setzen. Das waren annähernd fünf Achtel des nachweisbaren Gesamtbestandes an Mühlen im heutigen Stadtgebiet.

Mit über 60 je in Betrieb befindlichen Wasser-, Tier- und Dampfmühlen stellte das Mühlenwesen in der Stadt einen beträchtlichen Wirtschaftsfaktor dar. Jedoch boten weder die Menge des geernteten Getreides in den Vororten noch die Anzahl der Konsumenten hinreichende Verdienstmöglichkeiten für so viele Mühlen, worunter sich hauptsächlich Mahlmühlen befanden. Vielen Wiesbadener Mühlen kam deshalb zustatten, dass in Mainz die 14 Rheinschiff- und die 14 Bachmühlen allein nicht in der Lage waren, die dortige Bevölkerung, die Garnison, die Mehlhändler und die Bäcker hinreichend zu beliefern. Diese Versorgungslücke nutzten sowohl die Wiesbadener Bann- als auch die Privateigentumsmühlen und trugen dadurch auch zur Vermehrung des Bestandes bei.

Die ältesten Mühlenanlagen dienten der Getreidevermahlung und gehörten geistlichen Institutionen, so die 1259 erwähnte Heilig-Geist-Mühle des gleichnamigen Spitals (deshalb auch »Spitalsmühle«) in Mainz. Als »Spelzmühle« ist diese vierte Mühle am Salzbach seit Ende des 16. Jahrhunderts bekannt. Im Fall der Untermühle am Wickerbach weist darauf der zeitweise gebräuchliche Name »Nonnenmühle« ausdrücklich hin. Ihr in das Jahr 1272 zurückreichendes Bestehen hängt mit dem Nonnenkloster Altenmünster in Mainz zusammen. Auch die dem Kloster Klarenthal zugehörige Armenruhmühle und die ebenfalls im Besitz und in der Nähe des Klosters befindliche »Klarenthaler Klostermühle« sowie die des Klosters Eberbach in Dotzheim zählen zu den frühesten Mühlengründungen. Ob die Armenruhmühle am Salzbach mit einer bereits 992 urkundlich erwähnten Mühle in Biebrich gleichzusetzen ist, ist fraglich. Bis 1350 lassen sich außer den erwähnten weitere vier Mühlen nachweisen, die sich im Besitz des Landesherrn (Herrenmühle, Pletzmühle) und des Adels befanden.

Ein Schwerpunkt zur Vergabe von Konzessionen zum Bau neuer Mühlen lag in den Jahren 1680–1720. Sie wurden begünstigt durch die von Georg August Samuel Fürst zu Nassau-Idstein geförderte Bau-, Gründungs- und Gewerbetätigkeit. Während seiner Regierungszeit (1677–1721) entstanden allein 19 neue Mühlen, so die Hammermühle 1690, die Neumühle 1696 oder die Steinmühle 1704, alles Salzbachmühlen.

Zwischen 1850–60 wies Wiesbaden die höchste Mühlendichte auf. Einige Betriebe waren zu diesem Zeitpunkt bereits eingegangen (wie etwa die Firnselmühle 1847) und etliche in ein anderes Gewerbe umgewandelt worden (die Walkmühle zu einer Brauerei 1862). Dem standen bis zum Ende des Jahrzehnts nur noch vier Neugründungen gegenüber (Tabakschneidmühle Söhnlein am Grorother Bach 1856, Holzschneidmühle Dochnahl am Kesselbach 1857, Rheinschiffmühle an der Rettbergsaue bei Biebrich ca. 1860, Schleifmühle Urban am Kesselbach 1860).Von den insgesamt 53 Mühlen 1860 erfüllten 32 die Funktion als Mahlmühlen für Getreide. Der zweitwichtigste Zweig des Mühlengewerbes, die Verarbeitung von Ölfrüchten zu Speise-, Schmier- und Leuchtöl, begann bereits zu »verdorren«, denn die Stadt hatte 1848 die Straßenbeleuchtung mit Öl durch Gas ersetzt. Außerdem schränkte die aufkommende Verwendung des Petroleums den Gebrauch des Rüböls als Leuchtmittel in Gewerbebetrieben und Haushaltungen ein. Lediglich acht Ölmühlen konnten 1855 als Anhang einer Getreidemühle noch bestehen (Armenruh-, Dieten-, Grorother-, Hammer-, Hockenberger-, Kimpel-, Kurfürsten- und Neu-Mühle). Auch andere Nichtmahlmühlen, wie die Loh- und Walkmühlen sowie die Hanfreiben fielen neueren Verarbeitungstechniken für Leder und Textilien zum Opfer. Nur in der Junkermühle gab es noch einen Mahlgang zur Herstellung von Gerberlohe aus Eichenrinde. In der Nerotalmühle trieb ein Rad sowohl einen Loh- als auch einen Walkmühlgang. Einzig in der ehemaligen Loh-, jetzt Mahlmühle, in Rambach bestand noch eine Hanfreibe.

Zur gleichen Zeit traten andere Mühlenarten in Erscheinung. Dazu gehörten Schneidmühlen für Farbholz (Michael Spangenberg in Rambach), Fournier (Greuling & Weyghardt), Bauholz (Schreiner Dochnahl an der Schwalbacher Straße, ursprünglich eine Wasser-, später Dampfmühle) und Tabak (Johann Jacob Söhnlein an der Mündung des Grorother Baches). In der Kurfürstenmühle betrieb Peter Heppenheimer ein Mahlwerk für Gips. An verschiedenen Mühlenstandorten wurde das Wasser zur Wollverarbeitung (in der Mühle des Michael Diez zum Wollspinnen und in der Klostermühle zur Kunstwollfabrikation), als Pumpwerk im Dienste des Kurbetriebs (Nerotalmühle, Beau Site, und bei der Kaltwasseranstalt Guckuck am Schwarzbach) sowie zur Ingangsetzung einer Dreschmaschine genutzt. Die Antriebstechnik all dieser Triebwerke bestand in Wasserrädern, und zwar zu 60 % aus lediglich einem Rad. Je nach Witterung und Wasserführung der Bäche konnten sich mehrere Mühlen am Kessel-, Ram- und Wickerbach zweier Räder bedienen.

Die Bedeutung der Wiesbadener Mühlen geht auch daraus hervor, dass einige Mühlen mit mehr als zwei Rädern ihre Mahltätigkeit betrieben. Als einzige Mühle im Herzogtum Nassau verfügte die Kurfürstenmühle an der Mündung des Salzbachs in den Rhein über fünf Wasserräder, und selbst die drei vierrädrigen Salzbachmühlen dominierten gegenüber nur einer einzigen dieser Art außerhalb von Wiesbaden (Brückenmühle in Weilburg). Zusammen mit drei dreirädrigen Mühlen erfreuten sich diese Betriebe am Salzbach wegen ihrer technischen Ausstattung, aber auch wegen ihres ganzjährigen Einsatzes einer sehr guten Auslastung. Zustatten kam ihnen dabei, dass der Salzbach mineralreiches und warmes Wasser aus den Thermalquellen führte, wodurch der Bach im Winter nicht zufror.

Mehrere Mühlen erfüllten unterschiedliche Funktionen, etwa als Mahl- und Ölmühle oder als Loh- und Walkmühle. Zwei dieser multifunktionalen Betriebe in Rambach bedürfen einer Erläuterung. Michael Spangenberg unterhielt dort eine Mühle mit einem Mahlgang und einen weiteren Gang zum Schneiden und Mahlen von Farbholz. Dabei handelte es sich wohl um aus Indien eingeführtes weißes, gelbes und rotes Sandelholz sowie um aus Brasilien stammendes blaues Farbholz. Das aus diesen Hölzern hergestellte Farbpulver fand nach seiner Weiterverarbeitung Verwendung als Textilfarbe, als Holzbeize und als Ausgangsmaterial für medizinische Mixturen gegen Entzündungen, zur Stärkung von Herz und Magen, aber auch des angenehmen Geruchs wegen zur Herstellung von Kosmetika. Farbholzmahlgänge bestanden zeitweise auch in der Stickel- und in der Klarenthaler Mühle. In einer ehemaligen Lohmühle in Rambach betrieb Jakob Zerbe II sowohl einen Getreidemahlgang als auch einen Gang, um Hanf »zu reiben«. Das geschah mit einem auf einer Unterlage aus Stein sich drehenden Reibstein in Form eines Kegelstumpfs, der die Hanffasern weich und geschmeidig machte. Ein Reibgang für Flachs bestand auch 1824–46 in der Reitzenmühle zu Auringen.

Eine für Wiesbadener Verhältnisse seltene Einrichtung im Mühlenwesen war die Rheinmühle bei Biebrich. Diese bei der Rettbergsaue vor Anker liegende Schiffmühle funktionierte als Mahlmühle. Solche Rheinschiffmühlen waren hauptsächlich dort anzutreffen, wo Bachmühlen wegen des flachen Geländes sich als nicht besonders leistungsfähig erwiesen.

Häufig war der Besitzer einer Mühle auch deren Betreiber, aber nicht jeder, der eine Mühle betrieb, war auch deren Eigentümer. So erwarb 1845 Oberstabsarzt Karl Friedrich Ebhardt die nach einem Brand 1840 nicht wieder in Gang gesetzte Papiermühle im Kloster Klarenthal und verpachtete sie einem Müller, der dort eine Mahlmühle einrichtete. Gut gehende Mühlen und solche, die durch eine (Zwangs-)Versteigerung veräußert wurden, erwiesen sich häufig als begehrte Objekte der Vermögensanlage. Umgekehrt konnten Mühleneigner oder -nutzer durch Verkauf auch einen beträchtlichen Gewinn erzielen. Das gelang z. B. dem Hammermüller Bernhard May, der 1830 um 15.000 fl. für seinen einzigen Sohn das Nutzungsrecht an der Kupfermühle am Salzbach erwarb. Nachdem sein Sohn bereits 1834 gestorben war, verkaufte May die Mühle für 25.000 fl. an den Müller Adam Werner. Besitzer vieler Wiesbadener Mühlen waren die jeweiligen Landesherren. Das ihnen zustehende Ober-Eigentum an diesen Objekten – »dominium directum« genannt – verliehen sie interessierten Müllern als Unter-Eigentum zu deren Gebrauch (»dominium utile«). Dieses unter der Bezeichnung »Erbleihmühlen« verliehene Nutzungsrecht bestand bis zu dessen Ablösung 1869. Einigen Erbleihmüllern gelang es schon vorher, durch Zahlung der 20-fachen Jahrespacht das uneingeschränkte Eigentumsrecht zu erwerben, so Bernhard May von der Hammermühle um den Preis von 5.562 fl., Christian Bertram von der Dietenmühle für 6.635 fl. und Nikolaus Werner von der Kupfermühle für 7.000 fl. Aus unterschiedlichen Gründen zeigten die Stadt, Gesellschaften und Firmen Interesse am Erwerb größerer Mühlenstandorte, etwa die Kurhausgesellschaft. Sie erwarb 1845 die Firnselmühle, um den Wasserzulauf für den anzulegenden Kurhausbrunnen zu nutzen.

Einige Erbleihmühlen, insbesondere solche, die sich im Eigentum des Landesherrn befanden, verfügten über den Status einer Bannmühle. Ihnen stand das Recht zu, das Getreide für die Bewohner eines bestimmten Bezirks (Ortschaften, Höfe) ohne Eingriff eines Konkurrenzbetriebes zu mahlen. Diese jahrhundertalte Begünstigung wirkte sich in der Stadt und den heutigen Vororten so aus, dass z. B. 1750 die Kernstadt auf die Herren- und die Pletzmühle, Erbenheim auf die Spelzmühle, Biebrich und Mosbach bereits seit 1344 auf die Armenruhmühle gebannt waren. Einige Müller verschafften sich einen Bannbezirk, indem sie ihn von einem bannprivilegierten Kollegen abkauften, wie dies unter anderem 1735 dem Betreiber der Straßenmühle in Dotzheim gelang. Er kaufte dem Steinmüller am Salzbach den Bann über Schierstein um 300 fl. ab. Über einen fest zugesicherten Stamm an Mahlkunden konnten Privateigentumsmühlen ohne Banngerechtigkeit nicht verfügen. Sie mussten versuchen, in bannfreien Ortschaften Kunden zu gewinnen, auf Märkten mit den von ihnen produzierten Mahlerzeugnissen Handel zu treiben oder durch ein Zusatzgeschäft, etwa einen Ölmühlgang, ihre Verdienstmöglichkeiten zu verbessern.

Wo kein Gewässer die Energie zum Antrieb der Mühlentechnik ermöglichte, ersetzten Tiere – nach 1860 zum Teil auch Dampfmaschinen – die Arbeit des Wassers. Brauereien bedienten sich gelegentlich eines Pferdes zum Schroten der Braugerste. In Biebrich bestand in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Rossmühle zum Schneiden und Mahlen von Tabakblättern und eine Tabak- bzw. Ölmühle, in der Ochsen den Antrieb des Mühlwerks besorgten. Die Ausdehnung des Begriffes »Mühlen« auf »Wassertriebwerke« ermöglicht es, auch solche Anlagen einzubeziehen, die zwar über Wasserräder verfügten, nicht aber über Mahl-, Stampf-, Quetsch-, Schneid- oder Reibanlagen. In Wiesbaden fallen unter diese Kategorie 1851 und 1858 zwei Pumpwerke für Badeanlagen im Nerotal. Eine solche ging aus einer Loh- und Walkmühle – das spätere Gasthaus Beau Site – die andere aus einer Tuchfabrik mit Walk- und Spinneinrichtung – nachfolgend »Heilanstalt Nerotal« genannt – hervor. Außerdem bestanden noch zwei weitere Wassertriebwerke, die zum Wollspinnen eingerichtet waren.

Eine echte Alternative zur Wasserkraft im Dienste der Mühlen bot der Einsatz von Dampfmaschinen. Müller Johann Heppenheimer in der Kurfürstenmühle an der Salzbachmündung machte 1860 den Anfang damit. In den folgenden Jahrzehnten kamen Dampfmaschinen auch in der Herrnmühle (Herrnmühlgasse), in der Kupfermühle (am Salzbach), in der Hockenberger Mühle (in Kloppenheim) sowie in einer Holzschneidmühle (zwischen Biebrich und Schierstein) zum Einsatz. Einige Müller nutzten noch weiterhin die Wasserkraft, andere stellten ihren Betrieb ganz auf Dampfenergie um. Das kam dann in der Firmenbezeichnung »Dampfmühle« zum Ausdruck. Die Dampfmühle Wagemann (Kimpelmühle, in der Metzgergasse) galt als ein solches Unternehmen. Technische und bauliche Änderungen in und an Mühlen erfolgten meist erst nach 1860. Von Amerika, England und Frankreich ausgehende Verbesserungen (Förderanlagen, Verwendung von Gusseisen, Ersatz der hölzernen Wasserräder durch Turbinen) nutzten zunächst nur die größeren Betriebe.

An den Mühlenplätzen in den Vororten wurden Verbesserungen in der Mühlentechnik gewöhnlich erst im 20. Jahrhundert vorgenommen. Das betraf nur etwa ein Viertel aller Mühlen, denn die meisten, insbesondere in der Kernstadt, konnten sich nicht über die Jahrhundertwende retten. Zu denjenigen, die nach 1900 noch in Funktion waren, gehörten die Straßenmühle am Mosbach, die Armenruh-, Kupfer- und Steinmühle am Salzbach sowie die Untermühle am Wickerbach. Dort behaupteten sich außerdem noch zwei als die letzten aktiven Wiesbadener Mühlen bis in die 1950er-Jahre: die Hockenberger Mühle zwischen Kloppenheim und Medenbach sowie die Obermühle in Igstadt.

Von der ersten Erwähnung einer Mühle bis zu der zuletzt genehmigten vergingen 600 Jahre (bis 1860). Der Rückgang vollzog sich wesentlich schneller in nur 120 Jahren (1840 bis etwa 1960). Für den Stillstand, den Funktionswandel und den Abriss der Mühlen gab es unterschiedliche Gründe. Die zahlreichen Mühlenbrände sowie die Verwüstungen infolge kriegerischer Ereignisse motivierten eher zum Wiederaufbau als zur Resignation. Als Beispiel hierfür sei die Obergrundmühle genannt. 1857 brannte diese Mühle bei Dotzheim vollständig ab. Nach dem Wiederaufbau im folgenden Jahr setzte sie die Mahltätigkeit fort und machte sich zudem einen Namen als Ausflugslokal. Schlimmer noch traf es die Kupfermühle am Salzbach. Mehrfach fiel sie Bränden zum Opfer (1644, 1845, 1878, 1896). Trotzdem konnte sie sich bis ins 20. Jahrhundert als Mahlmühle mit angegliederter Brotfabrik behaupten. Der Niedergang zahlreicher Bachmühlen Wiesbadens zwischen 1850 und 1900 wurde verursacht durch die Zunahme von Großmühlen an Nassstandorten an der Küste, aber auch am Rhein. Zum Nachteil in der Stadt und dem angrenzenden Umland trugen die zunehmende Einschränkung der Ackerflächen und der damit verbundene Rückgang der Getreideerzeugung bei. Städtebauliche Maßnahmen, wie fortschreitende Bebauung, Erweiterung des Straßennetzes, Schaffung von Anlagen und Kureinrichtungen, vor allem aber Kanal- und Klärwerkbauwerke, griffen in den Mühlenbestand ein.

Die von der Stadt und der Kurhausgesellschaft gezahlten Vergütungen für Mühlenplätze hatten wohl einen wesentlichen Einfluss darauf, dass die Mühlenbesitzer auf die Angebote der Kommune sowie der Gewerbeunternehmen eingingen und ihre Standorte verließen. 1857 erwarb z. B. die Firma Chemische Werke Albert die Lohmühle am Mosbach zur Einrichtung einer Chemiefabrik. 1859 kaufte die Kurhausgesellschaft die Pletzmühle am Kesselbach, legte sie nieder und schuf am Mühlenplatz die parkartige Anlage des Warmen Dammes. 1860 wurde die Erkelsmühle, ebenfalls am Kesselbach gelegen, von der Stadt zur Erweiterung der Straße am »Stumpfen Tor« angekauft. 1884 musste die Spelzmühle am Salzbach dem Bau des Klärwerks weichen. Mit dem Verkauf der Salzmühle an die Firma Gademann 1845 blieb zwar die Wasserzufuhr erhalten, aber die Getreidemühle ging ein. Sie machte einer Kunstwollspinnerei Platz und diese wiederum einige Jahrzehnte später einer Holzbearbeitungsfabrik. Durch solche Erweiterungen und Umwandlungen wurden mehrere Mühlen zu Keimzellen von (Groß-)Bäckereien (Armenruh-, Hammer- und Kupfermühle am Salzbach, Kimpelmühle in der Metzgergasse), Gewerbe- und Industriebetrieben (Kunstdünger- und Leimfabrik Gebr. Albert in der Lohmühle, Kunststofffabrik Kalle in der Kurfürstenmühle, Druck- und Verlagshaus in der Herrnmühle) sowie Gastwirtschaften. Stellvertretend für mehr als zehn ehemalige und noch bestehende Mühlengasthäuser seien hier erwähnt Beau Site, ehemals Nerotalmühle, »Waldhorn« in der früheren Klarenthaler Mühle, Café-Restaurant Dietenmühle mit Milchkuranstalt und Schleifmühle Bacchus in der Aarstraße.

Unter den Betreibern/Besitzern der zum Teil mehrfunktionalen Mühlen mit Landwirtschaft ragen einige hervor, die sich durch persönliches Ansehen, Klugheit und Wohlhabenheit auszeichneten. Das konnte sich z. B. dadurch äußern, dass es ihnen gelang, mehrere Mühlen gleichzeitig zu besitzen/zu betreiben, wie Fritz Späth (Armenruh-, Hammer- und Salzmühle) oder Johann Kreckmann (Erkels- und Steinmühle). Andere fügten ihrer Mahlmühle einen weiteren Gewerbebetrieb hinzu: Karl Wagemann seiner Mahlmühle eine Bäckerei, Adam Volz seiner Mahlmühle eine Ölpresse. Wieder andere vermochten durch einen Anhang zu ihrem Hauptbetrieb die Wasserkraft durch spezielle Aufgaben auszunutzen: Johann Heppenheimer ergänzte seine Mahlmühle durch eine Gipsmühle und ein Sägewerk, Bernhard May trieb mit der Wasserkraft seiner Mahlmühle auch eine Dreschmaschine. Einige unter den Genannten machten sich auch einen Namen als (Kommunal-)Politiker: Johann Heppenheimer als Bürgermeister in Biebrich, Bernhard May als Abgeordneter des Frankfurter Vorparlaments und als Teilnehmer am Hambacher Fest, Jean Baptiste Wagemann als Stadtrat und Stadtältester.

Der Wohlstand einiger Müller wird auch durch die Höhe ihrer Gewerbesteuer dokumentiert. Zu den höchstbesteuerten Gewerbetreibenden in Amt Wiesbaden gehörten um 1850: Armenruhmüller Johann Heppenheimer und dessen Sohn, der Kurfürstenmüller Peter Heppenheimer, Steinmüller Adam Volz, Kupfermüller Nikolaus Werner, Kimpelmüller Karl Wagemann, Neumüller Philipp Poths und vor allem Hammermüller Bernhard May. Er zahlte 1854 mit Abstand die meiste Steuer unter den »höchstbesteuerten Gewerbetreibenden«. Aber auch von Schicksalsschlägen blieben die Müllerfamilien nicht verschont. Das traf insbesondere auf jene Zeit zu, in denen Kriegseinwirkungen die Mühlentätigkeit beeinträchtigten (Dietenmühle, Klostermühle, Salzmühle) oder durch Feuersbrünste (Gerbermühle 1667, Klarenthaler Mühle 1840, Hammermühle 1843, Straßenmühle 1848 und mehrere andere). Solche Unglücksfälle reichen bis in die jüngere Vergangenheit zurück. Bomben trafen im letzten Krieg die Herrnmühle und die Straßenmühle, in der auch Tote zu beklagen waren.

Naturbedingte Ereignisse machten manchem Müller das Leben schwer. Für Mühlen an den Oberläufen der Bäche wirkte sich das in Form von Wassermangel aus. Stellvertretend seien dazu die Obergrundmühle und die Sonntagsmühle am Weilburger Bach bei Dotzheim genannt. Heinrich Wintermeyer nannte 1829 seine Mühle (Sonntagsmühle) wenig ergiebig. Um sich behaupten zu können, betätigte er sich als Fuhrmann im Dienste der Gemeinde. Bei der Straßenmühle, ebenfalls in Dotzheim, verschüttete ein Erdrutsch den Mühlgraben und führte 1927 zur Einstellung des Mahlgeschäftes.

Keine der Wiesbadener Mühlen ist noch in Tätigkeit. In den Vororten werden noch ehem. Mühlengebäude als Wohnhäuser, für Zwecke der Landwirtschaft, Tierhaltung und des Gartenbaus genutzt (Auringer Mühle, Hockenberger Mühle/Kloppenheim, Kingenmühle/Breckenheim, Obermühle/Igstadt, Reitzenmühle/Auringen, Untermühle/Igstadt). Einige wenige Gasthäuser schmücken sich noch mit dem Zusatz -mühle wie die Hockenberger Mühle, die Klostermühle, die Schleifmühle und die Straßenmühle. Doch am auffälligsten erinnern Straßennamen an die lange Mühlengeschichte in der Stadt. Im Stadtplan sind mehr als 20 solche Bezeichnungen in der Kernstadt und in den Vororten zu finden. Fast poetisch klingt der Name »Mühlradgasse« für eine Straße in Rambach oder »Mühlgartenweg« in Breckenheim. Andere Straßenschilder nennen ehemalige Mühlen mit Namen: »An der Dietenmühle« oder »Straßenmühlenweg«. Auch auf die Namen einiger Mühlenbesitzer weisen Straßenbezeichnungen hin: Bernhard-May-Straße, Heppenheimerstraße, Söhnleinstraße und Wagemannstraße

Literatur

Fink, Otto: Die Kurfürstenmühle zu Biebrich. In: Wiesbadener Leben 5/1960 [S. 35].

Schwalbach, Rolf: Die Mühlen zwischen Dotzheim und Biebrich, Heimat- und Verkehrsverein Dotzheim (Hrsg.), Wiesbaden 2011.