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Nerostraße

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Die seit 1809 angelegte Nerostraße war ein wichtiger Schritt zur Stadterweiterung, indem sie die Stadtmauer bei dem unmittelbar am Kochbrunnen gelegenen Zivilhospital durchbrach. Nachdem sie zunächst als »Hospital-» bzw. »Spitalstraße« bezeichnet wurde, setzte sich seit 1811 – in Anlehnung an den vorbeifließenden Neresbach (Nerobach) – der Name »Nerostraße« durch.

Hier bauten vor allem Geringverdienende, denen die Landesregierung die nötigen Bauplätze unentgeltlich bewilligte. Die anfänglich schmucklosen einstöckigen Häuser wurden später mit einem zweiten Stockwerk versehen; es entstanden größere und schönere Häuser, in denen auch viele Staatsdiener wohnten. Trotz der Öffnung zur Saalgasse wurde die Nerostraße noch jahrzehntelang als abseits der Stadt gelegen betrachtet; nach Eröffnung der Taunusstraße 1818 bezeichnete man sie als »Hinterstadt«. Noch 1848 wurde dem Samuel Bär die Einrichtung einer Zündhölzchenfabrik in der Nerostraße gestattet. Nach Erbauung der monumentalen Trinkhallenanlage von Wilhelm Bogler am Kochbrunnen (1889/90) klagten die Bewohner, ihr »Stadtteil« werde durch die »chinesische Mauer« bzw. durch die »altertümlichen Festungswerke« der neuen Kochbrunnenanlagen vollständig von der Stadt abgeschnitten.

Um die Wende zum 20. Jahrhundert bot die Straße mit den Geschäften zahlreicher kleinerer Handwerker, mit Metzgereien, einer Zigarettenfabrik, Wein- und Tabakhandlungen, Gaststätten und Schankwirtschaften ein lebhaftes Bild. Seit dem Abriss der Kochbrunnenkolonnade in den 1960er-Jahren standen der Anbindung an die Stadt keine Hindernisse mehr entgegen. Vielen Wiesbadenern war die Konditorei Preußger ein Begriff, die erst vor kurzem aufgegeben hat.

In der unmittelbaren Nachkriegszeit organisierte Georg Buch von seiner Privatwohnung in der Nr. 26 aus den Wiederaufbau der SPD. Das Nachbarhaus, die Nr. 24, beherbergte seit 1962 das legendäre Jazzhaus. Heute befindet sich hier die Diskothek »Gestüt Renz«.

Die Nerostraße, in der 1977 das erste Wiesbadener Straßenfest stattfand, entfaltet mit ihren kleinen Läden, Trödelgeschäften und Restaurants auch heute einen ganz eigenen Charme.

Literatur

Schüler, Theodor: Wiesbaden vor 100 Jahren. In: Wiesbadener Tagblatt 1911/207 Morgen-Ausgabe, 04.05., 1. Bl.

abgedruckt In Neese, Schüler Aufsätze [S. 151–154].

Struck, Wolf-Heino: Wiesbaden als nassauische Landeshauptstadt. Teil I: Wiesbaden in der Goethezeit (1803-1818), Wiesbaden 1979 (Geschichte der Stadt Wiesbaden Bd. 4).