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Wiesbadener Tagblatt (WT)

Artikel

Aus dem Wiesbadener Wochenblatt entwickelte Karl August Emil Schellenberg das Wiesbadener Tagblatt (WT), das er am 16.09.1852 als reines Anzeigenblatt, zunächst nur im Taschenbuchformat und mit nur wenigen Seiten Umfang, erstmals erscheinen ließ. Mit amtlichen Bekanntmachungen und den beliebten Fortsetzungsromanen gewann das WT eine große Zahl von Lesern. Sein Sohn Ferdinand Ludwig (Louis) Schellenberg machte das Blatt zu einer »richtigen« Zeitung mit redaktionellem Teil.

Der fulminante Aufstieg zu Wiesbadens meist gelesener Tageszeitung begann 1889 mit der Berufung von Walther Schulte vom Brühl zum Chefredakteur. Ab 1891 erschien das WT, inzwischen im größeren Format, werktäglich mit einer Morgen- und einer Abendausgabe. 1906 lag das WT bei einem deutschlandweiten Vergleich des Anzeigenaufkommens zur Weihnachtszeit an achter Stelle, noch vor dem »Frankfurter Generalanzeiger«.

Politisch tendierte das WT bis zum Ersten Weltkrieg zur freisinnigen (liberalen) Partei. Die Gewinne waren so hoch, dass in den Jahren 1905–09 das Pressehaus in der Langgasse (heute Sitz der Lokalredaktion von WT und Wiesbadener Kurier, WK) erbaut werden konnte. Nach Schellenbergs Tod 1920 führte seine Witwe Marie mit dem tüchtigen Prokuristen Heinrich Pabst Zeitung und Druckerei durch die schwierigen 1920er-Jahre. 1932 übernahm der Sohn, Gustav Schellenberg, die Firma.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten musste der jüdische Chefredakteur Hermann Lekisch entlassen werden (er wurde 1942 in das KZ nach Lublin deportiert und 1942 in Sobibór ermordet). In der politischen Ausrichtung rückte das WT mehr nach rechts und konnte zunächst weiter erscheinen. Am 30.06.1943 wurde es aus »kriegsbedingten Notwendigkeiten« mit der NSDAP-Zeitung »Nassauer Volksblatt« zur nationalsozialistischen »Wiesbadener Zeitung « zusammengelegt. Nach dem Einmarsch amerikanischer Truppen im April 1945 erhielt Gustav Schellenberg Haus- und Berufsverbot. Ab Oktober 1945 nutzte der von der amerikanischen Administration lizenzierte Wiesbadener Kurier (WK) auf Pachtbasis Gebäude und Maschinen.

Mit Aufhebung des Berufsverbots ließ Gustav Schellenberg das WT in gemieteten Räumen in der Herrnmühlgasse wieder aufleben. Es zeigte sich aber bald, dass der Vorsprung des WK zu groß war. Unter Beibehaltung seines traditionsreichen Titels kam es zum Anschluss an die in der Mainzer Verlagsanstalt (heute Verlagsgruppe Rhein Main) erscheinende »Allgemeine Zeitung«. Die Lokalredaktion blieb in Wiesbaden und zog nach einem Intermezzo auf dem Michelsberg im April 1999 zurück in das Zeitungshaus in der Langgasse.

Derzeit erscheinen WT und WK abgesehen vom Titelkopf in identischer Ausfertigung. Auch die Auflagenhöhe wird nicht mehr getrennt ausgewiesen.

Literatur

Müller-Schellenberg, Guntram: Wiesbadens Pressegeschichte, Bd. 1: Von Napoleon zu Bismarck. Die Presse im Spannungsfeld von Kultur, Wirtschaft und sozialen Verhältnissen. Taunusstein 2011.

Immer mittendrin. 100 Jahre Pressehaus Wiesbaden. Hrsg.: Schröder, Stefan/Gerber, Manfred, Frankfurt 2009.