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Zünfte

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Eine der am frühesten nachweisbaren Wiesbadener Zünfte ist die der Metzger. 1474 stellte Graf Johann eine Ordnung auf, nach der den Fleischern Ort und Zeit des Fleischverkaufs sowie die Art des in den verschiedenen Jahreszeiten zu schlachtenden Viehs und die Preise vorgeschrieben wurden. Ein beträchtliches Alter hatten auch die Innungen der Bäcker, die seit 1525 Vorgaben zu Größe und Gewicht von Backwaren einhalten mussten, sowie der Schuhmacher und Gerber, für die 1496 eine Ordnung erlassen wurde. Zunftordnungen für Müller und Tuchweber ergingen im 16. Jahrhundert

Die Wiesbadener Innungen waren weder wirtschaftlich, noch zahlenmäßig bedeutend: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts werden zwölf Zünfte genannt, die zehn und mehr Mitglieder hatten; die größte war die der Schneider mit 36 Mitgliedern. Gleichwohl spielten sie im wirtschaftlichen Leben eine wichtige Rolle: Nicht nur regelten sie die Dauer und die Inhalte der Lehrlingsausbildung sowie die Ablegung der Gesellenprüfung, sie regulierten auch den Zuzug der Meister, legten fest, welches Meisterstück vorzulegen war und griffen in viele andere Einzelheiten des gewerblichen Lebens ein. Zwar hatten sie auch soziale und karitative Aufgaben, z. B. die Versorgung nicht arbeitsfähiger Zunftmitglieder und Hinterbliebener oder die Bezuschussung von Begräbnissen, trotzdem überwog ihr restriktiver Charakter.

Die Folge war, dass das zünftige Handwerk stagnierte. Seit dem 16. Jahrhundert wurde im Deutschen Reich immer wieder versucht, das Zunftwesen zu reformieren; ohne nennenswerten Erfolg. Erst die von den Reichsständen 1731 vorgelegten Vorschläge zur Verbesserung der Handwerksinnungen brachten einige segensreiche Neuerungen: Sie sahen unter anderem die Einsetzung von Oberzunftmeistern zur Beaufsichtigung der Zünfte vor.

Auch in Wiesbaden unterstanden seit dieser Zeit die Zünfte einem durch die Landesherrschaft bestellten Beamten. Im Herzogtum Nassau wurde die alte Zunftverfassung – nachdem bereits die Französische Nationalversammlung 1791 die Zünfte verboten hatte – durch Edikt vom 19.05.1819 aufgelöst. Das Recht zum Betrieb eines Gewerbes war künftig nur noch davon abhängig, dass der gewerbetreibende Bürger unbescholten war und dass er einen Gewerbeschein löste und jährlich erneuerte. Damit wurden im Wirtschaftsleben die Grundsätze rechtlicher Gleichheit und freier Konkurrenz zur Anerkennung gebracht, Gewerbebetriebe wurden von der Zugehörigkeit zu einer Zunft unabhängig.

Dies ging einher mit der Einführung einer Gewerbesteuer, wobei die Zünfte als freie Körperschaften bestehen blieben. 1881 erkannte der Reichstag Innungen als öffentlich-rechtliche Einrichtungen an; er übertrug ihnen die Lehrlingsausbildung und genehmigte die Trägerschaft an sozialen Einrichtungen wie Innungskrankenkassen und Fachschulen. Diese Zuständigkeiten wurden am 26.07.1897 endgültig im Handwerkergesetz geregelt, das auch die Bildung von Handwerkskammern vorsah.

Zur Jahrhundertwende wurde die für das Großherzogtum Hessen zuständige Kammer gegründet. Die alte Zunftverfassung wurde damit endgültig von einer modernen Organisationsform des Handwerks verdrängt.

Literatur

Theodor Schüler. Aufsätze zur Geschichte der Stadt Wiesbaden im 17.–19. Jahrhundert. Hrsg.: Neese, Bernd-Michael, Wiesbaden 2007.

Streich, Brigitte: »Schlechtes Brot, elendes Fleisch, erbärmliches Bier«. Das Zunftwesen in Wiesbaden im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts. In: Nassauische Annalen 122/2011 [S. 183–201].

Zünfte und Handwerk in Hessen. Begleitheft zur Ausstellung der hessischen Staatsarchive zum Hessentag 1985 in Alsfeld, bearb. von Jürgen Rainer Wolf, Darmstadt 1985.