Sprungmarken

Biebrich

Artikel

Archäologische Funde belegen, dass in Biebrich schon seit Jahrtausenden eine kontinuierliche Besiedlung und Bodennutzung erfolgte. Erstmals erwähnt wird die »villa Biburg« zum Jahr 874. Der Ortsname verweist laut Hellmuth Gensicke auf eine vorgeschichtliche oder römische Befestigung. In Biebrich befanden sich eine Schiffsanlegestelle und ein königlicher Fährplatz, die den Endpunkt zweier wichtiger, über die Taunushöhe führender Verkehrswege nach Mainz bildeten. Die Rheinfähre verband Biebrich mit Mainz und gelangte 1336 als bedeutendes Reichslehen an die Grafen zu Nassau. Eine 1307 in unmittelbarer Nähe zur Fähre genannte »Königsbeunde« (königliches Grundstück) verweist auf den karolingischen Königshof.

Biebrich war in dieser Zeit ein Dorf mit einem Fronhof im Mittelpunkt und den Höfen (»mansus«) abhängiger Bauern, über die der König die Verfügungsgewalt besaß. Zu diesem Königsgut gehörten das knapp 2 km nördlich gelegene Mosbach sowie auch das rund 6 km entfernte »Bruderode«. Die zuständige Pfarrkirche befand sich in Mosbach und wird 1085 erstmals erwähnt. 1472 gelangte sie an das Kloster Eberbach, in dessen Besitz sie bis 1803 blieb. Ein Pfarrer, Dietrich vom Kirchhof, wird vor 1190 erstmals erwähnt. Der erste evangelische Pfarrer trat 1560 sein Amt an. Ein Schulmeister wird schon 1563 genannt; er versah zugleich das Glöckneramt und die Gerichtsschreiberei. Bis 1729 besuchten auch die Biebricher Kinder in Mosbach den Unterricht, erst 1733 erhielt Biebrich eine eigene Schule. Zur dörflichen Struktur in Biebrich und Mosbach gibt eine Urkunde von 1275 Auskunft, die die Rechte des Klosters Selz in den Dörfern beschreibt. Danach sollte der Vogt als Vertreter des Klosters in der »curtis« Biebrich dreimal im Jahr Gericht halten. Weitere Beamte waren der Schultheiß, die Feldschützen sowie zwei Förster. 1275 veräußerte Kloster Selz Biebrich an Kloster Eberbach und 1296 an König Adolf zu Nassau, der seinerseits 1298 »den Hof der heiligen Adelheid, den Hof Armenruh und den Hof in Mosbach« mit anderem Zubehör dem Kloster Klarenthal übertrug. Zu 1267 ist der Vogt oder Schultheiß Hertwich belegt, der in Vertretung des Landesherrn die Gerichtsbarkeit ausübte. Ein eigenes Gerichtssiegel wurde seit 1549 benutzt. Der älteste Siegelabdruck stammt von 1620 und zeigt einen Biber mit einem Schlüssel, Letzteres ein Hinweis auf den Kirchenpatron, den heiligen Petrus. Zu 1601 ist ein Pranger, 1619 ein Ortsgefängnis oder »Stimbert« überliefert. Die 1462 erstmals erwähnte Burg war eine Wasserburg, die an Stelle der heutigen Mosburg im hinteren Teil des Schlossparks Biebrich lag.

Biebrich und Mosbach werden von Anfang an zusammen genannt. Beide Dörfer wurden im 14./15. Jahrhundert mit Mauer und Graben befestigt. Mosbach wird schon 1531 und zusammen mit Biebrich 1597 als Flecken bezeichnet. Außer den Bürgermeistern gab es Gemeindeämter wie das des Gemeindevorstehers und Gemeindebedienstete wie Schröter, Feuerläufer, Hirten und Nachtwächter. 1563 wurden in Biebrich und Mosbach 181 Haushaltsvorstände gezählt. Nach dem Dreißigjährigen Krieg ging die Zahl 1651 auf 33 Untertanen und drei Witwen zurück. 1746 lebten in beiden Orten 912 Einwohner, d. h. 205 Familien in 152 Häusern. Seit 1642 sind in Biebrich Juden nachweisbar.

Einen neuen Aufschwung nahm die Gemeinde mit dem Beginn des Schlossbaus 1700/01 durch Fürst Georg August Samuel zu Nassau-ldstein. Mit der Entwicklung Biebrichs zur Residenz ließen sich Hofbeamte und Gewerbetreibende in größerer Zahl im Ort nieder, bald erhielt Biebrich die erste Garnison.

Nach 1866 nahm, begünstigt durch die Verkehrslage am Rhein, die Industrialisierung beherrschenden Einfluss auf die Biebricher Geschichte. Seit Nutzung der Dampfkraft für die Rheinschifffahrt in den 1820er-Jahren, der Erhebung Biebrichs zum Rheinhafen mit dem Recht auf ein Warenfreilager am 31.03.1831 und dem Beitritt Nassaus zum Deutschen Zollverein (1836) erwachte am Rheinufer neues Leben. Biebrich wurde zum »Vorhafen« Frankfurts. 1840 bzw. 1856 wurden Biebrich und Mosbach an die Eisenbahn angeschlossen. Aufgrund dieser günstigen Verkehrsbedingungen begann sich Industrie anzusiedeln: 1857 ist das Gründungsjahr der Rheinhütte, 1858 entstand die Düngemittelfabrik von Heinrich Johann Albert, 1863 die chemische Fabrik von Paul Wilhelm Kalle, 1864 das Zementwerk von Gustav Wilhelm Dyckerhoff. Zwar waren Albert und Dyckerhoff gezwungen, die Erweiterung ihrer Fabriken auf hessen-darmstädtischem Boden, jenseits des Landgrabens, vorzunehmen. Trotzdem müssen sie stets im Rahmen der Biebricher Geschichte gesehen werden, da die gesamten Arbeitskräfte in Biebrich ansässig waren. Die Bevölkerung erlebte nun ein sprunghaftes Wachstum (1840 = 3.000; 1867 = 6.000; 1875 = 7.700; 1888 = 9.600; 1895 = 12.300; 1905 = 19.000 Einwohner). Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, in den sogenannten Gründerjahren, entwickelte sich Biebrich, das bereits seit 1850 durch die Bebauung der Wiesbadener Straße (heute Am Schlosspark) mit Mosbach zusammengewachsen war, endgültig zur Industriestadt. Auch kleinere Fabriken und mehrere Handwerksbetriebe ließen sich in Biebrich nieder.

Der bedeutende Industriesektor sowie das starke Anwachsen der Bevölkerung stellten erhöhte Anforderungen an die Gemeindeverwaltung. Das alte Rathaus in Mosbach (Didierstraße 3) wurde 1876 durch einen Neubau des Architekten Georg Friedrich Fürstchen ersetzt. 1882 erhielt Biebrich Stadtrechte; Bürgermeister Rudolf Vogt wurde zum Oberbürgermeister ernannt. Die seit Langem geführte Bezeichnung Biebrich-Mosbach wurde 1893 in »Stadt Biebrich am Rhein« umgewandelt. Damit war Biebrich neben Wiesbaden die größte Stadt im damaligen Landkreis geworden. Wasserleitungen wurden gelegt, seit 1893 erfolgte die Neukanalisation der Stadt, 1895 wurde Biebrich an das Stromnetz angeschlossen und erhielt 1900 Gasbeleuchtung. Seit 1896 wurden die Straßen gepflastert und neue Schulen eingerichtet. Die Jahre bis zum Ersten Weltkrieg waren für Biebrich eine Zeit der Blüte, die nach 1918 allerdings ein Ende fand. Die Stadt geriet an den Rand des Bankrotts und schloss sich dem finanzkräftigeren Wiesbaden an. Am 01.10.1926 trat der Eingemeindungsvertrag in Kraft.

Nach der sogenannten Machtergreifung Hitlers wurden auch in Biebrich, wie im übrigen Deutschen Reich, die Menschen »gleichgeschaltet«. Politische Parteien, Gewerkschaften und kirchliche Verbände hörten auf zu existieren. Etwa 30 Biebricher Bürger wurden aus rassistischen Motiven, wegen ihrer Religion oder ihrer politischen Überzeugung in den Konzentrationslagern und Zuchthäusern von der Gestapo ermordet. In der sogenannten Reichskristallnacht im November 1938 wurde auch Biebrichs 1830 erbaute Synagoge in der Rathausstraße 37 ein Opfer des blinden Wütens. In den Bombennächten vom 18.12.1944, dem 13.01. und dem 02.02.1945 wurden über 800 Wohnungen zerstört, etwa 1.000 Familien obdachlos. Mit dem Einmarsch der amerikanischen Truppen am 28.03.1945 war der Spuk des »Dritten Reichs« vorüber.

Nach der Währungsreform 1948 begann mit der Stabilisierung der Verhältnisse und dem langsamen Aufblühen der Wirtschaft eine stetige Aufwärtsentwicklung, die sich augenfällig in einer regen Bautätigkeit ausdrückte. Ende der 1950er-Jahre entstanden auf dem Gräselberg und der Adolfshöhe, in den 1980er-Jahren auch im Parkfeld neue Wohngebiete. Die Verkehrslage wurde verbessert, neue Industriewerke siedelten sich an. Es folgte die Errichtung neuer und die Erweiterung bestehender Schulen, der Bau neuer Sportstätten und der Galatea-Anlage auf dem Gelände des ehemaligen Straßenbahndepots. Im Stadtteil gibt es fünf evangelische und vier katholische Kirchengemeinden. Die evangelische Hauptkirche war bis zur Weihe der katholischen Pfarrkirche St. Marien 1876 die einzige Kirche Biebrichs. Mit anwachsender Bevölkerung wurden weitere Kirchen erbaut, so 1898 die Herz-Jesu-Kirche in Mosbach als zweite katholische und 1905 die Oranier-Gedächtnis-Kirche am Rheinufer als zweite evangelische Kirche. Die Albert-Schweitzer-Gemeinde (evangelisch), St. Hedwig (katholisch), Heilig-Geist-Kirche (evangelisch), St. Kilian (katholisch) und Lukasgemeinde (evangelisch) entstanden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Biebrich hat bedeutende Persönlichkeiten hervorgebracht, so den Kulturwissenschaftler Wilhelm Heinrich von Riehl, den jüdischen Gelehrten Seligmann Baer, den Philosophen Wilhelm Dilthey, den Altphilologen Hermann Diels, den Astrophysiker Erwin Finlay Freundlich, den Widerstandskämpfer Generaloberst Ludwig August Theodor Beck und die jüdische Reichstagsabgeordnete Tony Sender, den Physiker Walther Gerlach sowie den Mathematiker und Logiker Karl Schröter (1905–1977). 1862 schuf Richard Wagner in einem Landhaus am Rhein den 1. Akt und das Präludium zum 3. Akt seines Werkes »Die Meistersinger von Nürnberg«. Der Filmpionier und -produzent Edwin Georg Dengel wurde ebenso in Biebrich geboren wie der Pianist, Bandleader und Sänger Paul Kuhn und 1944 der Fußballer Jürgen Grabowski, der lange Jahre bei Eintracht Frankfurt spielte und 1974 mit der deutschen Fußballnationalmannschaft die Fußball-Weltmeisterschaft gewann.

Literatur

Dehio, Georg: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Hessen II. Der Regierungsbezirk Darmstadt, bearb. von Folkhard Cremer [u.a.], München, Berlin 2008. [S. 78ff.].

Biebrich am Rhein: 874–1974. Chronik. Hrsg.: Faber, Rolf im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft »1100 Jahre Biebrich«, Wiesbaden 1974.

Faber, Rolf: Moskebach – Biebrich – Mosbach: 991–1991. Chronik. Hrsg.: Verschönerungs- und Verkehrsverein Biebrich am Rhein e.V., Wiesbaden- Biebrich 1991.

Gockel, Michael: Artikel Biebrich. In: Die deutschen Königspfalzen [S. 8–15].

Handbuch der historischen Stätten Deutschlands, Bd. 4: Hessen. Hrsg.: Sante, Georg Wilhelm, Stuttgart 1976. [S. 49 f.].