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Bierstadt

Im Jahr 927 wurde Bierstadt erstmals schriftlich erwähnt. Das älteste erhaltene Gebäude ist die evangelische Pfarrkirche aus dem 12. Jahrhundert. 1910 wurde Bierstadt mit einer Straßenbahnverbindung an das Wiesbadener Verkehrsnetz angeschlossen. Heute leben in dem 1928 eingemeindeten Stadtteil über 12.000 Einwohner.

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Bierstadt lag verkehrsgünstig an der von Wiesbaden über Igstadt und Hofheim nach Frankfurt ziehenden Römerstraße und dem dicht westlich an Bierstadt vorbeiziehenden sogenannten Petersweg, der Kastel mit mehreren Höhenwegen über den Taunus verband. Siedlungsspuren finden sich bereits aus der ältesten und der jüngeren Steinzeit. Südwestlich der Theodor-Fliedner-Schule wurden 1846 die Überreste einer römischen »villa rustica« ergraben. Im Bereich von Limes-, Bierstadter und Wiesbadener Straße wurden merowingerzeitliche Reihengräber gefunden.

Bierstadt wird spätestens 927 urkundlich erstmals erwähnt, und zwar als »Birgidesstat«, gelegen im Königssondergau. Ursprünglich war das Kölner Ursulastift in Bierstadt begütert, seit 1128 das Mainzer Domkapitel. Dessen Besitzrechte reichten bis zum Kellerskopf und zur Hohen Kanzel und umfassten auch den Grund und Boden, auf dem die Nassauer ihre Burg Sonnenberg erbauten (1221). Viele geistliche Institutionen hatten Besitzungen in Bierstadt, so die Nonnenklöster Gnadenthal und Tiefenthal, die beide in Bierstadt Klosterhöfe besaßen. Teilweise bis zum Ende des 18. Jahrhunderts begütert waren hier auch nahezu alle wichtigen Mainzer Stifte und Klöster sowie die großen Ritterorden. Die Gerichtsbarkeit übten die Herren von Eppstein aus, der vom Mainzer Domstift zu ernennende Schultheiß war der zivilrechtliche Verwalter. 1441 konnte Nassau die Gerichtsrechte an sich bringen. Um 1500 kam es zu langwierigen Auseinandersetzungen der Nassauer mit dem Mainzer Domkapitel. Davon zeugt noch der 1473 durch Graf Johann II. zu Nassau errichtete Wachtturm. Eine Abbildung des Turms ist Bestandteil des um 1600 eingeführten Gerichtssiegels. 1519 wütete unter anderem in Bierstadt die Pest; die Einwohnerzahl ging zurück. 1525 beteiligte sich die Gemeinde am Bauernkrieg.

1540 tauschte das Mainzer Domkapitel seine Besitzungen in Bierstadt mit dem 1495 in ein weltliches Ritterstift umgewandelten Kloster Bleidenstadt gegen Güter im Linksrheinischen. Dadurch kam auch das Ernennungsrecht für den Pfarrer an Bleidenstadt, das dieses noch 1693 ausübte, auch wenn die Pfarrer seit 1561 der Augsburger Konfession angehörten. Zum Bleidenstadter Klosterhof in Bierstadt gehörten 157 Morgen Ackerland, 20 Morgen Wiesen, Beholzigungs- und Zehntrechte, es war damit der bedeutendste geistliche Besitz in dem Ort. 1801 wurde das Ritterstift säkularisiert. Der Stiftshof fiel an die Landesherren, die ihn ihrem Staatsminister Ernst Franz Ludwig Freiherrn Marschall von Bieberstein schenkten.

Spätestens 1550 trat Bierstadt zur Reformation über, 1576 wurde eine Schule eingerichtet. Die Lehrer hatten auch die Glocken zu läuten und fungierten als Organisten. Der Unterricht fand zunächst in der Stube des Pfarrers statt. 1594 wurde auf Kosten der Gemeinde ein Schulhaus errichtet, um 1715 wurde der Schulbetrieb in das vermutlich 1553 erbaute Rathaus verlegt. 1819 wurde das Haus umgebaut, im Obergeschoss richtete man zwei Klassenräume ein. 1846 erhielt Bierstadt einen Schulneubau, die spätere »Alte Schule«. Ein neues Rathaus wurde 1886 gebaut. 1899 entstand eine neue Schule an der Hofstraße, der 1906/07 der Bau der heutigen Hermann-Löns-Schule an der Poststraße folgte.

Das älteste noch erhaltene Gebäude in Bierstadt ist die evangelische Pfarrkirche aus dem zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts. Auf fränkischen Einfluss weisen die alten Bauernhöfe B.s hin, vor allem einige in der Raiffeisenstraße (früher Langgasse). Sie zeigen eine geschlossene Bauweise mit großem Hoftor, Wohnhaus, Scheune, Ställen und einem Hof in der Mitte. Zwei historisch besonders wichtige Höfe sind der ehemalige Bleidenstadter Hof, ein stattlicher Bau, dessen rückwärtiger Teil – das Stollhaus (Frankenhof) – noch aus dem 17. Jahrhundert stammt, und der Lindenthaler Hof, der im 13. Jahrhundert Sitz der Adligen von Wiesbaden war.

Im Dreißigjährigen Krieg wurden Bierstadt und seine Bevölkerung stark in Mitleidenschaft gezogen, viele Menschen verloren ihr Leben. Um 1650 lebten noch 17 Familien in Bierstadt In den nachfolgenden Jahren nahm die Bevölkerung wieder zu. 1746 hatte Bierstadt 493 Einwohner, 100 Jahre später 1.085 und Mitte des 20. Jahrhunderts 7.000 Einwohner. In der Zeit der Revolutionskriege (1792–1802) hatte die Bevölkerung unter »Kaiserlichen, Preußen und Franzosen« zu leiden, die sich im Pfarrhaus einquartierten und der Bevölkerung alle Lebensmittel raubten.

Seit etwa 1780 sind in Bierstadt wieder Katholiken ansässig. Diese gründeten im Jahre 1907 ihre eigene Gemeinde; vorher bildeten sie eine gemeinsame mit Sonnenberg. Das katholische Gotteshaus St. Birgid entstand 1938/39. 1963 erhielt es sein heutiges Aussehen. 1540 werden erstmals Juden in Bierstadt erwähnt. Die jüdische Gemeinde baute 1827 ihr Gebetshaus in der Rathausstraße (heutige Poststraße 5). Im Jahre 1890 entstand der jüdische Friedhof an der Kloppenheimer Straße 1908 stellte die israelitische Kultusgemeinde einen eigenen Lehrer ein. 1927 wurde die Synagoge zum 100-jährigen Bestehen renoviert und feierlich eingeweiht.

Über Jahrhunderte hatten in Bierstadt neben der Landwirtschaft Schäferei und Leineweberei große Bedeutung. Um 1750 bildeten die Schäfer, später auch die Leineweber eine eigene Zunft. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts betrieben 25 Bürger das Leineweberhandwerk. Auch Wein wurde angebaut. Aus dem Bauerndorf Bierstadt entwickelte sich im Lauf des 20. Jahrhunderts eine Arbeiter- und Handwerkervorstadt. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es zwei Ziegeleien, die Kolbenringfabrik Buchhold und Keller sowie die Pharmazeutische Fabrik von Apotheker Adam Herbert.

Ende des 19. Jahrhunderts begannen weit reichende Veränderungen wie die erste Flurbereinigung (1870). 1884 wurde die erste Postagentur eröffnet, 1886 errichtete man ein neues Rathaus. Es dient heute als Verwaltungsstelle der östlichen Stadtteile Bierstadt, Erbenheim, Heßloch, Igstadt und Kloppenheim. 1904 wurden die Wasser- und Gasanschlüsse an das Leitungssystem der Stadt Wiesbaden angeschlossen, 1907 folgte der Anschluss an das Wiesbadener Elektrizitätsnetz. Es entwickelte sich ein reiches Vereinsleben: 1859 wurde der Gesangverein »Frohsinn«, 1881 der Turnverein gegründet, 1883 ein Männergesangverein, 1898 der Arbeitergesangverein »Frisch Auf«. 1900 und 1903 gründeten sich der Radfahrclub Bierstadt und der Arbeiterradfahrbund »Solidarität«. Auch zwei Karnevalsvereine, ein Leseklub, die Freiwillige Feuerwehr und ein Handwerker- und Gewerbeverein entstanden in der Zeit um 1900. In der Interessengemeinschaft der Bierstadter Ortsvereine sind zurzeit 34 Vereine zusammengeschlossen. Mit der Einrichtung einer Straßenbahnverbindung wurde Biestadt am 19.3.1910 an das Wiesbadener Verkehrsnetz angeschlossen.

173 Bierstadter fielen dem Ersten Weltkrieg zum Opfer. An die Gefallenen erinnert ein 1927 errichtetes Kriegerdenkmal. Auf das Kriegsende folgte eine strenge Besatzungszeit; 486 Besatzungssoldaten waren zeitweise von den Bierstadtern zu verpflegen. Am 24.10.1923 kam es auch in Biestadt zu Auseinandersetzungen zwischen Separatisten, französischer Besatzung und Bierstadter Bürgern, die das Rathaus verteidigten. Am 01.04.1928 erfolgte die Eingemeindung Bierstadts nach Wiesbaden.

Die letzten demokratischen Wahlen der Weimarer Republik vom 05.03.1933 brachten der NSDAP mit 1.500 Stimmen den Sieg, den sie mit einer spektakulären Freiheitsfeier auf dem Wartturmgelände beging. Am 14.03.1933 wurde die Hakenkreuzfahne auf dem Bierstadter Rathaus gehisst. Kurz darauf begann der Boykott jüdischer Geschäftsleute, Ärzte, Anwälte. Vereine und Verbände wurden »gleichgeschaltet« (51 % der Vorstandsmitglieder mussten der NSDAP angehören). In der Nacht vom 09. auf den 10.11.1938 wurde die Synagoge zerstört. Etwa 25 jüdische Bierstadter wurden ermordet. Während des starken Luftangriffs auf Wiesbaden wurden in der Nacht vom 02. auf den 03.02.1945 zahlreiche Häuser zerstört.

Nach Ende des Krieges kamen viele Flüchtlinge, Heimatvertriebene und amerikanische Besatzungstruppen nach Bierstadt, davon allein über 1.250 Sudetendeutsche aus Teplitz-Schönau und Umgebung. Rund um den alten Ortskern entstanden neue Häuser bzw. Wohnsiedlungen. 1950 war die Gemeinde auf 6.342 Köpfe angewachsen. Seit 1955 wurde die Kanalisation weiter ausgebaut. Neue Schulbauten wurden nötig, als letzte kam die 1965 eingeweihte Theodor-Fliedner-Schule hinzu. In den 1960er-Jahren wurde die Siedlung Wolfsfeld für 3.500 Bewohner angelegt.

Literatur