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Gieseking, Walter

Gieseking, Walter

Pianist

geboren: 05.11.1895 in Lyon

gestorben: 26.10.1956 in London


Artikel

Gieseking wuchs an der Riviera auf. Er wurde von seinen Eltern privat unterrichtet. 1911 zog die Familie nach Hannover, wo Gieseking seinen ersten Klavierunterricht am Städtischen Konservatorium erhielt. Hier begann seine systematische Ausbildung zum Pianisten bei Karl Leimer (1858–1944). Er wurde ein exemplarischer Schüler für dessen Lehrmethode, die beide 1931 in einem Lehrbuch darstellten. Nach dem Ersten Weltkrieg, an dem Gieseking als Regimentsmusiker teilnahm, begann seine Karriere schnell, zuerst in Deutschland, dann europaweit. 1926 unternahm er seine erste Amerika-Tournee.

Gieseking wurde vor allem für seine Interpretation der französischen Klaviermusik gefeiert, so für seine impressionistischen Klangfarbenreize bei Debussy und Ravel. Bach und Mozart waren weitere Schwerpunkte. Er führte auch zahlreiche zeitgenössische Werke auf, etwa von Rachmaninow und Schönberg. 1925 heiratete er in Hannover seine frühere Schülerin Anni Haake, mit der er zwei Töchter hatte. 1934 zog die Familie nach Wiesbaden.

1937 wurde er von Hitler zum Professor ernannt, 1944 auf die Gottbegnadeten-Liste der für den NS-Staat wichtigen Künstler gesetzt und dadurch vom Dienst an der Waffe befreit. Einer NS-Organisation gehörte Gieseking jedoch nie an. Der Pianist trat regelmäßig in den von Deutschland besetzten Gebieten auf, beispielsweise in Belgien und Frankreich. Mindestens eines dieser Konzerte wurde von der Reichskulturkammer subventioniert. Der Pianist trat auch zugunsten des Winterhilfswerks auf. Er erhielt später auch das Kriegsverdienstkreuz II. Klasse ohne Schwerter für sein Engagement in der Truppenunterhaltung.

1945 wurde ihm öffentliches Auftreten zunächst verboten. In dieser Zeit wurde der Schriftsteller Friedrich Michael sein Nachbar in der Wilhelminenstraße, der anlässlich des Abrisses von Giesekings Haus 1970 einige Begegnungen schilderte. 1947 übernahm Gieseking die Meisterklasse für Klavier am Konservatorium Saarbrücken. 1948 konnte er seine Tourneetätigkeit wieder aufnehmen, aber bis 1953 wurden einzelne Konzerte in den USA und Australien wegen seiner Nähe zum NS-Regime verhindert oder von Protestdemonstrationen begleitet.

Seit 1921 trat Gieseking immer wieder in Wiesbaden auf, so spielte er mit dem Cellisten Ludwig Hoelscher 1948 im Walhalla Studio Theater eine Sonate von Wolfgang Fortner und eine eigene Komposition.

Nebenbei arbeitete er wie sein Vater als Entomologe, seine Schmetterlingssammlung kam ins Museum Wiesbaden. Walter Gieseking verstarb in London, wurde aber auf dem Wiesbadener Nordfriedhof beigesetzt. In Wiesbaden trägt eine Straße nördlich des Kurparks im Stadtteil Nordost seinen Namen. Diese wurde auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 22. Mai 1969 benannt.

[Der vorliegende Text wurde 2012 von Wolfgang Jung für die gedruckte Version des Stadtlexikons Wiesbaden erstellt und 2023 von Lena Böschemeyer überarbeitet und ergänzt]

Literatur

Gieseking, Walter: So wurde ich Pianist, Wiesbaden 1964.

Michael, Friedrich: So ernst wie heiter, Sigmaringen 1983 [S. 366 f.].

Waeltner, Ernst: Gieseking, Walter Wilhelm. In: Neue Deutsche Biographie, Bd. 6, 1964 [S. 384 f.].