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Reutlinger, (Philipp) Heinrich

Reutlinger, (Philipp) Heinrich

SA-Standartenführer

geboren: 25.05.1898 in Frankfurt am Main

gestorben: 15.11.1963 in Enzklösterle (Kreis Calw)


Artikel

Noch vor seinem Abitur meldete sich Reutlinger als Freiwilliger an die Front. Als Oberleutnant außer Dienst holte er die Reifeprüfung nach und studierte ohne Abschluss einige Semester Papierchemie. Während dieser Zeit gehörte er dem Freicorps Rossbach an und nahm an Kämpfen unter anderem im Baltikum teil. 1925 wurde er Mitglied in der NSDAP. 1930 trat er der SA bei und wurde im selben Jahr in den Preußischen Landtag und nach dessen Auflösung 1933 in den Deutschen Reichstag gewählt.

1932 wurde Reutlinger, inzwischen SA-Standartenführer, nach Wiesbaden beordert. Der Herrschaftsbereich von Reutlinger, der im November 1933 zum Brigadeführer der Wiesbadener SA befördert wurde, reichte bis an die Grenzen von Hanau, Frankfurt am Main und Koblenz. Ihm unterstanden 38.000 paramilitärische SA-Leute. Das SA-Standartenheim in der Luisenschule am Luisenplatz wurde zu einem SA-Gefängnis umfunktioniert, dessen Insassen, meist Kommunisten, aber auch Sozialdemokraten sowie einige Juden und parteiinterne Kritiker der NSDAP, dort bis zu einem halben Jahr festgehalten und gefoltert wurden.

In die Amtszeit von Reutlinger fallen die Ermordung des Kommunisten Karl Müller durch die SA, ebenso die des jüdischen Sozialdemokraten Max Kassel und des Kaufmanns Salomon Rosenstrauch. Der jüdische Händler Ludwig Grosshut starb an den Folgen der Misshandlungen durch die SA. Reutlinger war bekannt dafür, dass er oft mit einem Riesenhund und hoch zu Ross in seinem Revier patrouillierte und sich als Alleinherrscher über Wiesbaden betrachtete – bis er wegen Korruption und Amtsmissbrauch am 28.01.1935 nach Hanau abkommandiert wurde. Die Strafversetzung rettete ihn vor der Verhaftung im Zuge des sogenannten Röhm-Putsches, als Hitler die SA-Spitze entmachten ließ. Nach halbjähriger Untersuchungshaft wurde Reutlinger aus SA und NSDAP ausgeschlossen. Er versuchte sich daraufhin als Pferdezüchter, Hotelier und Autohändler im Raum Stuttgart.

1946 wurde Reutlinger wegen der Ermordung von Max Kassel in einer Gerichtsverhandlung als Zeuge vorgeladen. Im Spruchkammerverfahren stufte man Reutlinger 1948 als »minderbelastet« ein. 1959 wurde er zu 20 Monaten Gefängnis verurteilt. 1963 reichte ein Sohn Reutlingers ein Gnadengesuch ein. Neun Monate nach Aussetzung der Reststrafe verstarb Reutlinger.

Literatur

Material, Dokumente (Sammlung Bembenek).