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Walter-Hallstein-Straße

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Im Wiesbadener Stadtteil Rheingauviertel/Hollerborn wurde auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung am 4. Oktober 1995 eine Straße nach dem Politiker und Juristen Walter Hallstein (1901-1982) benannt. Die Straße liegt im sogenannten „Europaviertel“ im Bereich des ehemaligen Camp Lindseys. Der Ortsbeirat entschied sich 1995, für die Umbenennung der Straßen auf Namen von europäischen und US-amerikanischen Politikern zurückzugreifen, die sich für die Förderung und Integration in Europa einsetzten. Am 26. September 1995 wurde das gesamte Quartier „Europaviertel“ benannt.

Walter Hallstein wurde am 17. November 1901 als Sohn eines Regierungsbaurates in Mainz geboren. Nach dem Besuch der Volksschule und des Gymnasiums in Darmstadt und Mainz studierte Hallstein Rechtswissenschaften in Bonn, München und Berlin. Nach dem Bestehen des Staatsexamens wurde er 1925 an der Universität Berlin promoviert.

Anschließend war Hallstein bei seinem Doktorvater Martin Wolff als Assistent tätig. 1927 wechselte er als Referent an das Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, wo er 1930 seine Habilitation abschloss. Walter Hallstein hatte sich in den ersten Jahren seiner Laufbahn bereits wissenschaftliches Renommee aufgebaut und wurde kurz nach seiner Habilitation als Professor für Wirtschafts- und Handelsrecht an die Universität Rostock berufen. Er war zu diesem Zeitpunkt mit 28 Jahren der jüngste Lehrstuhlinhaber im Deutschen Reich.

Von 1936 bis 1941 war Hallstein Dekan der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät in Rostock. Eine spätere Berufung Hallsteins an die Universität München scheiterte vermutlich aus politischen Gründen. In einer internen Beurteilung wurde dargelegt, dass bei Hallstein eine kritische bis ablehnende Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus zu vermuten sei.

Hallstein wurde berufsbedingt Mitglied des NS-Rechtswahrerbundes. Zudem war er Mitglied des NS-Lehrerbundes, des NS-Luftschutzbundes, des NS-Dozentenbundes und der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt. 1936 leistete Hallstein freiwillig Wehrdienst und wurde in mehreren Ausbildungslehrgängen bis 1939 zum Reserveoffizier ausgebildet.

Hallstein pflegte unter anderem zu seinem Rostocker Kollegen Friedrich Brunstäd, Professor für Evangelische Theologie und ebenfalls Dekan, eine freundschaftliche Verbindung. Ein Schüler Brunstäds war der spätere CDU-Politiker und Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier. Der Theologiestudent stand der »Bekennenden Kirche« nahe und hatte eine NS-kritische Petition unterschrieben, weshalb er sich im Rahmen eines akademischen Disziplinarverfahrens an der Universität verantworten musste. Hallstein ließ sich in das dreiköpfige Richter-Kollegium wählen und erwirkte schließlich einen Freispruch. Hallstein galt schon zu dieser Zeit als scharfsinniger Jurist und hervorragender Unterhändler.

Im Jahr 1941 wechselte Hallstein an die Universität Frankfurt am Main, wobei er aufgrund seiner Einberufung zum Kriegsdienst 1942 seine Arbeit nicht aufnehmen konnte. Hallstein wurde bei einem Artillerie-Regiment der 709. Infanterie-Division im besetzten Frankreich eingesetzt, wo er nach der Landung der amerikanischen Truppen im Sommer 1944 in Gefangenschaft geriet. Hallstein wurde in die USA gebracht und war im „Camp Como“ in Mississippi interniert, wo er beim Aufbau einer Lageruniversität half und seine wissenschaftliche Tätigkeit wieder aufnahm. Von den amerikanischen Behörden wurde er im Rahmen des Projekts »Sunflower« im Rahmen der Reeducation besonders geschult und darauf vorbereitet, als möglicher zukünftiger Entscheidungsträger nach Deutschland zurückzukehren.

Im Herbst 1945 kehrte Hallstein nach Deutschland zurück und half beim Aufbau der Universität Frankfurt am Main. Dort wurde er 1946 zum ersten Nachkriegsrektor ernannt. 1948 nahm Hallstein eine Gastprofessur an der Georgetown University in Washington, D.C., an. In den USA baute er sich ein Netzwerk mit Kontakten in die amerikanische Wissenschaft und Politik auf.

Im Sommer 1950 wurde Walter Hallstein von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) zum Staatssekretar im Bundeskanzleramt ernannt, ein Jahr später wechselte er in gleicher Position ins Auswärtige Amt. 1953 trat Hallstein in die

CDU ein.

Wie eng die Zusammenarbeit zwischen Hallstein und Adenauer war, zeigt sich daran, dass er selbst nach der Ernennung Heinrich von Brentanos zum Außenminister im Jahr 1955 das direkte Vortragsrecht beim Kanzler behielt und weiterhin an den Kabinettssitzungen teilnehmen durfte. Nach der Bundestagswahl 1961 sollte Hallstein Außenminister werden, doch die FDP stellte sich dagegen, weil ihr der ehemalige Staatssekretär in der Ostpolitik zu wenig flexibel war.

Hallstein war federführend an den Verhandlungen zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) von 1951 und zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) sowie an den Verhandlungen zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) beteiligt. Am 25. Marz 1957 unterzeichnete er mit Bundeskanzler Adenauer für die Bundesrepublik die „Römischen Verträge“. Neben der Westintegration der Bundesrepublik und der Europapolitik waren vor allem die deutsche Teilung und der Kalte Krieg zwei zentrale Politikfelder der Regierung Adenauer. Auch hier war Hallstein ein prägender Akteur. Im Mittelpunkt von Hallsteins Politik stand die Auffassung, dass alles getan werden müsse, um eine Aufwertung oder gar Anerkennung der DDR zu verhindern. Vor diesem Hintergrund entstand die sogenannte Hallstein-Doktrin, die den Abbruch der diplomatischen Beziehungen der Bundesrepublik zu Staaten vorsah, die ihrerseits diplomatische Beziehungen zur DDR aufnahmen.

Walter Hallstein erarbeitete sich als Außenpolitiker auf europäischer Ebene einen hervorragenden Ruf. Dies war auch einer der Gründe, warum Adenauer Hallstein im Jahr 1958 innerhalb der neu geschaffenen europäischen Institutionen als ersten Präsidenten der Kommission der EWG durchsetzen konnte.

Hallsteins Tätigkeit als Kommissionsvorsitzender war geprägt von Auseinandersetzungen mit dem neuen französischen Präsidenten Charles de Gaulle. Nachdem 1966 eine Große Koalition mit Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) und Außenminister Willy Brandt (SPD) die Regierungsgeschäfte übernommen hatte, schwand Hallsteins Rückhalt in Bonn, sodass er am 1. Juni 1967 aus dem Amt des Präsidenten der Kommission der EWG ausschied.

Im Anschluss kandidierte Hallstein für die CDU bei der Bundestagswahl 1969 und wurde als Abgeordneter des Wahlkreises Altenkirchen-Neuwied ins Parlament gewählt, dem er bis 1972 angehorte. Von 1968 bis 1974 war Hallstein zudem Vorsitzender der Internationalen Europäischen Bewegung.

Im Laufe seiner Karriere erhielt Hallstein zahlreiche Ehrungen, darunter das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband der Bundesrepublik Deutschland (1953) und den Internationalen Karlspreis zu Aachen (1961) Walter Hallstein starb am 29. Marz 1982 in Stuttgart.

Literatur