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Wiesbadener Helmuth-Plessner-Preis 2020 geht an Onora Sylvia O’Neill, Baroness O’Neill of Bengarve
Der Wiesbadener Helmuth-Plessner-Preis, der in diesem Jahr zum dritten Mal vergeben wird, geht an Onora Sylvia O’Neill, Baroness O’Neill of Bengarve. Helmuth Plessner, 1892 in Wiesbaden geboren, war für die europäische Philosophie, Biologie und Soziologie ein bedeutender Impulsgeber und gilt bis heute als einer der wichtigsten Vertreter der „philosophischen Anthropologie“. Der Helmuth-Plessner-Preis ist mit 20.000 Euro dotiert und wird alle drei Jahre von der Landeshauptstadt Wiesbaden in Kooperation mit der Helmuth Plessner-Gesellschaft an eine renommierte Persönlichkeit vergeben, die sich in der Philosophie um Aspekte des Plessner‘schen Werks in hervorragender Weise verdient gemacht hat.
Begründung zur Entscheidung: Onora O’Neill, geboren im August 1941, ist eine der großen Gestalten der internationalen Gegenwartsphilosophie. Nach einer Promotion bei John Rawls hat sie sich als Kant-Forscherin einen Namen gemacht; „Construction of Reason“ von 1989 ist eines der bedeutendsten Bücher zum Verständnis der praktischen Philosophie der letzten Jahrzehnte.

Insbesondere die internationale Präsenz O‘Neills im Bereich der Ethik – einem Teilgebiet der Philosophie, in dem Plessners Denken bisher wenig berücksichtigt wurde – war ein wichtiger Aspekt bei der Entscheidung des Kuratoriums.

Als ausgezeichnete Zeitdiagnostikerin, differenziert und klar in ihrer Analyse, verortet sie Fragen der Ethik in einen breiteren anthropologischen und politischen Rahmen.
In den letzten Jahren beschäftigt sie sich wissenschaftlich und politisch besonders mit Gefährdungen der Demokratie in der digitalen Welt.

Die angelsächsische Philosophin mit internationaler Strahlkraft ist sehr vertraut mit der deutschen philosophischen Tradition. Über ihren früheren Forschungsschwerpunkt bei Kant hat sie eine anthropologische Perspektive auf Kants Ethik in wichtigen Gegenwartsthemen entwickelt.

Onora O’Neill ist eine eminent politische Person als Mitglied des House of Lords und ehemalige Präsidentin der Britischen Akademie der Wissenschaften. Sie hat in vielen wichtigen Kommissionen mitgearbeitet und zahlreiche Auszeichnungen erhalten.

An der Sitzung des Preiskuratoriums nahmen gleichberechtigt die Wissenschaftler der Helmuth-Plessner-Gesellschaft, Prof. Dr. Carola Dietze, Prof. Dr. Volker Schürmann, Prof. Dr. Marcus Düwell, Prof. Dr. Joachim Fischer, sowie die von der Stadt nominierten Mitglieder Prof. Dr. Tilman Allert, Dr. Lorenz Jäger und der Kulturamtsleiter Jörg-Uwe Funk teil.

Kulturdezernent Axel Imholz führt aus: „Mit der Entscheidung für die diesjährige Plessner-Preisträgerin wird eine Wissenschaftlerin geehrt, die mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit unterstreicht, welch wichtige Beiträge und Impulse die Philosophie für unser Kultur- und Gesellschaftsleben geben kann. Genau dies ist auch ein Ziel, das wir mit der Vergabe des Helmuth-Plessner-Preises verfolgen.“

Am 4. September wird der Preis im Rathaus im Rahmen eines Festaktes übergeben. Ergänzend zu der Preisverleihung sind ein Vortrag der Preisträgerin, ein Stadtspaziergang auf den Spuren Plessners und eine Diskussion mit Wiesbadener Schülerinnen und Schülern vorgesehen.

Hintergründe zu Helmuth Plessner
Helmuth Plessner, 1892 in Wiesbaden geboren, lebte bis zu seinem 20. Lebensjahr in der „Weltkurstadt“. Sein Vater war ein in der Stadt anerkannter Sanatoriumsarzt und -leiter jüdischer Herkunft. Plessner studierte im Anschluss an sein Abitur am Alexander-von-Humboldt-Gymnasium parallel Zoologie und Philosophie in Heidelberg, dann Philosophie in Göttingen und Erlangen. Nach seiner Habilitation 1920 verfolgte er konsequent seine Laufbahn als Privatdozent für Philosophie an der neu gegründeten Kölner Universität neben Max Scheler.

1933 wurde er wegen der jüdischen Herkunft seines Vaters aus dem Hochschuldienst entlassen und ging ins niederländische Exil nach Groningen. Nach seiner Remigration 1949 wurde er als Göttinger Soziologe mit Horkheimer, Adorno und Gehlen einer der wichtigen Intellektuellen der jungen Bundesrepublik Deutschland („Verspätete Nation“).

Plessners Werk „Die Stufen des Organischen und der Mensch“, das seit Kurzem auch in englischer Übersetzung vorliegt, zählt zu den meistdiskutierten Denkansätzen der Philosophischen Anthropologie. Seine Studie zu den „Grenzen der Gemeinschaft“ fand nach 1989 auch außerhalb von Fachkreisen erhebliche Beachtung. 2014 wurde mit dem Helmuth Plessner Preis der weltweit bedeutende US-amerikanische Forscher Michael Tomasello geehrt. 2017 erhielt der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk die Auszeichnung.

Weiterführende Begründung zur Entscheidung
O’Neills Blick auf die Ethik ist durch das Bewusstsein für die methodischen Probleme des ethischen Urteilens ausgezeichnet: Keine ethische Überlegung ist ohne abstrahierende Verallgemeinerung denkbar – aber zugleich ist es ein Fehler, allein aus jenen Abstraktionen bzw. „Idealisierungen“ ethische Urteile abzuleiten oder Theorien zu erbauen. Die Spannung, die Plessner zwischen Unergründlichkeit einerseits, der Notwendigkeit des Begründens oder des Setzens von Recht andererseits anspricht, kann man auch in O’Neills Arbeit finden.

Bemerkenswert ist in dem Zusammenhang die Bedeutung, die O’Neill dem Vertrauen für das menschliche Zusammenleben zuschreibt (Autonomy and Trust in Bioethics) und das sie gefährdet sieht, wenn man sich der Vorstellung hingibt, Interaktionen könnten durch Kodifizierung, Supervision, Qualitätsmanagement usw. abgesichert und perfektioniert werden. Gemeinsames Handeln, so betont sie, ist immer imperfekt, und Aspekte der Unverfügbarkeit sind nicht aus ihm auszulöschen. Letzteres suggerieren jedoch moderne Verfahren der Formalisierung des gemeinsamen Handelns, die vortäuschen, die Autonomie der in ihm Involvierten zu bewahren, während sie in Wirklichkeit ein unrealistisches Bild der Möglichkeiten individuell-rationaler Autonomie aufstellen.

Ein Kernthema von O’Neills Philosophie ist die Situiertheit moralischen Urteilens. Sehr interessant sind dabei ihre Überlegungen zum Vorrang der Verpflichtung – die sich stets an konkrete Personen in konkreten Zusammenhängen adressiere – vor dem Begriff der Rechte, dessen Schwäche sie darin sieht, dass der Adressat von Rechtsansprüchen häufig ungeklärt ist.

Hinweis für Redaktionen
Im Anhang an diese Pressemitteilung finden Sie auch die englische Version der Meldung.

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Herausgeber:
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Schlossplatz 6
65183 Wiesbaden
Für Fragen der Bürgerinnen und Bürger
Telefonzentrale Rathaus:
Onora Sylvia O’Neill, Baroness O’Neill of Bengarve
Onora Sylvia O’Neill, Baroness O’Neill of Bengarve

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