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Helmuth-Plessner-Preis 2023 geht an Prof. Dr. Gérard Raulet
Der Wiesbadener Helmuth-Plessner-Preis, der in diesem Jahr zum vierten Mal vergeben wird, geht an den französischen Philosophen und Germanisten Gérard Raulet.
Helmuth Plessner, 1892 in Wiesbaden geboren, war für die europäische Philosophie, Biologie und Soziologie ein bedeutender Impulsgeber und gilt bis heute als einer der wichtigsten Vertreter der „philosophischen Anthropologie“. Der Helmuth-Plessner-Preis ist mit 20.000 Euro dotiert und wird alle drei Jahre von der Landeshauptstadt Wiesbaden in Kooperation mit der Helmuth Plessner-Gesellschaft an eine renommierte Persönlichkeit vergeben, die sich in der wissenschaftlichen oder außerwissenschaftlichen Öffentlichkeit um Aspekte des Plessner‘schen Werks in hervorragender Weise verdient gemacht hat.

An der Sitzung des Preiskuratoriums nahmen gleichberechtigt für die Helmuth-Plessner-Gesellschaft Prof. Dr. Carola Dietze, Prof. Dr. Marcus Düwell, Prof. Dr. Joachim Fischer, Prof. Dr. Volker Schürmann, die von der Stadt nominierten Mitglieder Prof. Dr. Tilman Allert, Jürgen Kaube, Prof. Dr. Eva Waller, sowie Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende und Kulturdezernent Axel Imholz teil.

„Es war eine interessante Sitzung, in der sich alle Beteiligten einmütig für den Preisträger ausgesprochen haben“, führt Kulturdezernent Axel Imholz aus. „Im Hinblick auf den 60. Jahrestag des Élysée-Vertrags, der gerade auch die Absicht des gegenseitigen Kulturaustauschs unterstreicht, freut es mich besonders, dass der Preis an einen Franzosen mit Leidenschaft für die deutsche Philosophie geht.“

Begründung zur Entscheidung: Gérard Raulet, geboren im August 1949, studierte ab 1969 an der École normale supérieure Lettres et sciences humaines in Saint-Cloud, ist ausgebildeter Deutschlehrer (agrégé d'allemand 1973), promovierte 1981 in Philosophie an der Université Paris I (Panthéon-Sorbonne), und habilitierte sich 1985 an der Universität Paris-Sorbonne, wo er bis 2020 als Professor für deutsche Ideengeschichte lehrte. 2006 veröffentlichte er das französische Standardwerk zur deutschen Philosophie im 20. Jahrhundert „La philosophie allemande depuis 1945“.

Gérard Raulet hat die gesamte Theoriegeschichte des 20. Jahrhunderts aus der Perspektive der produktiven Entwürfe der 20er Jahre (Benjamin, Bloch, Marcuse, Scheler, Plessner) über die 60er Jahre (Habermas, Gadamer, Blumenberg, Jonas) bis in die Gegenwart des 21. Jahrhunderts erschlossen und diskutiert. 2006 veröffentlichte er das französische Standardwerk zur deutschen Philosophie im 20. Jahrhundert „La philosophie allemande depuis 1945“ (Paris). Bemerkenswert an Raulets intellektueller Laufbahn ist, dass er, der zunächst in enger Verbundenheit mit der Kritischen Theorie zu arbeiten begann (Habermas, Honneth), Ende der 90er Jahre – im Zuge der deutschen Renaissance von Scheler und Plessner – in Paris eine nachhaltige Wende zur Philosophischen Anthropologie vollzogen hat, ohne seine Ursprünge je aus den Augen zu lassen. Bereits im erwähnten Buch „La philosophie allemande“ hat er ein einschlägiges Kapitel der „L’anthropologie philosophique et la psychoanalyse“ gewidmet und darin auch Plessner erstmals in Grundzügen dem französischen Publikum vorgestellt.

Das Tor zur französischen Plessner-Rezeption stieß Raulet weiter auf, indem er seit 2000 ein mehrjähriges trilaterales Forschungsprojekt (französisch-italienisch-deutsch) zur L’anthropologie philosophique: ses origines et son avenir - Die philosophische Anthropologie: Herkunft – Zukunft organisierte, das neben den wenigen expliziten vor allem den impliziten lebensphilosophischen und anthropologischen Bezügen zwischen deutscher und französischer Philosophie nachging.

Insgesamt wurden in der anhebenden französisch-deutschen Plessner-Diskussion relevante Parallelen nicht nur zu Bergson und Merleau-Ponty, sondern auch zur „französischen philosophischen Anthropologie im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts“ (Raulet) entdeckt, die zum Beispiel bei Canguilhem und Deleuze „den Zusammenhang zwischen lebendigen Körpern (und Leibern) mit ihren Umwelten auf nicht-reduktionistische, nicht-idealistische und nicht-mechanizistische Weise denkt“ (Anderson/Ebke/Nigrelli/Pagan 2022) und diesen Ansatz auch für einen komplexen, kritischen Begriff der Natur des Menschen durchhält. Parallel initiierte Raulet eine Buchreihe „Philosophische Anthropologie – Themen und Positionen“, in der er auch seine Studien unter dem seine Intention bezeichnenden Titel „Das kritische Potential der philosophischen Anthropologie“ (2020) publizierte.

Für Gérard Raulet spricht besonders, dass er entscheidenden Anteil daran hatte, dass die Philosophische Anthropologie und dabei besonders der Beitrag Plessners in Frankreich diskutiert werden und dies schließlich auch zu einer – neben der Wirkung der Schriften Martin Heideggers in unserem Nachbarland kaum mehr zu erhoffenden – öffentlichen Wirksamkeit beigetragen hat. Darüber entfaltete sich eine breite öffentliche Wirksamkeit der Ansätze und Gedanken im europäischen, vor allem im romanischen Raum.

Am Montag, 4. September, wird der Preis im Rathaus im Rahmen eines Festaktes übergeben. Ergänzend zu der Preisverleihung sind ein Vortrag des Preisträgers, eine wissenschaftliche Tagung zum Werk des Preisträgers, ein Stadtspaziergang auf den Spuren Plessners und eine Diskussion mit Wiesbadener Schülerinnen und Schülern vorgesehen.

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Herausgeber:
Pressereferat
der Landeshauptstadt Wiesbaden
Schlossplatz 6
65183 Wiesbaden
Für Fragen der Bürgerinnen und Bürger
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