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Bergkirchenviertel: Stadtquartier „der kleinen Leute“ im sozialen Wandel
Das Amt für Statistik und Stadtforschung hat jetzt die Stadtanalyse „Soziodemographische Veränderungen und soziale Lage im Bergkirchenviertel“ vorgelegt.
Nach über 40 Jahren Sanierungstätigkeit wurden im Quartier „An der Bergkirche“ 2015 die letzten städtebaulichen Erneuerungsmaßnahmen und Verbesserungen der Wohn- und Wohnumfeld-Verhältnisse abgeschlossen. Es war keine Flächensanierung geplant, wie sie noch von dem Stadtplaner Ernst May Anfang der 1960er Jahre vorgesehen war, sondern eine „behutsame Stadterneuerung“ sollte das Gebiet städtebaulich „revitalisieren“, aber keine Vertreibung der betroffenen Bewohnerschaft bewirken. Das sozialstrukturelle Sanierungsziel, den Gesamtcharakter des Gebiets als „Viertel der kleinen Leute“ zu erhalten, ist im Ergebnis nicht völlig verfehlt worden, aber nach den Analysen der Wiesbadener Stadtforschung sind die „kleinen Leute“ der heutigen Gebietsbevölkerung ganz andere als vor oder zu Beginn der Sanierung.

Mit umfangreichem Datenmaterial wurden die demographischen und sozialstrukturellen Veränderungen im Sanierungsgebiet über einen Zeitraum von über 40 Jahren untersucht. Im Vergleich mit dem umgebenden Teilgebiet bis zur Taunus- und der Kellerstraße und dem Inneren Westend (die nicht Sanierungsgebiete waren), dem gesamten Planungsraum Bergkirchenviertel, dem Ortsbezirk Mitte und der Gesamtstadt Wiesbaden wurden Besonderheiten der soziodemographischen Veränderungen des Sanierungsgebiets, aber auch Gemeinsamkeiten mit den anderen Vergleichsgebieten analysiert.

Heute leben im Quartier rund 1.000 Personen weniger als vor der Sanierung, obwohl „eine möglichst hohe Einwohnerzahl“ angestrebt wurde, die als „Voraussetzung einer Revitalisierung der gesamten Innenstadt“ betrachtet wurde. Die seit 1970 tatsächlich erfolgten demographischen und sozialstrukturellen Veränderungen weichen auch in erheblichem Maße von dem angestrebten Ziel ab, den „Durchschnitt der Gesamtstadt“ „als Maßstab eines künftigen Sozial- und Altersgefüges im Bergkirchengebiet“ zugrunde zu legen.

36 Prozent der heutigen Gebietsbewohner haben eine nichtdeutsche Staatsangehörigkeit, 1970 waren es zehn Prozent. Fast 60 Prozent der Bevölkerung im Sanierungsgebiet hat heute einen Migrationshintergrund, rund 45 Prozent stammen nicht aus EU-Ländern. Die Gebietsbevölkerung ist nach ihrer kulturellen Herkunft immer internationaler und heterogener geworden, die frühere Dominanz von Personen aus „Gastarbeiter-Nationen“ und auch die Anteile Türkisch-Stämmiger haben stark abgenommen, ebenso wie in den anderen innerstädtischen Teilgebieten und in der Gesamtstadt auch.

Nicht nur im Sanierungsgebiet, sondern in allen innerstädtischen Teilgebieten und in der Gesamtstadt hat es seit 1970 erhebliche altersstrukturelle Verschiebungen gegeben. Die starke Abnahme älterer Menschen ist besonders auffallend, während Zahl und Anteil älterer Menschen in der Gesamtstadt erheblich zugenommen haben. Die Bevölkerung im Sanierungsgebiet und in den innerstädtischen Teilgebieten ist im Durchschnitt erheblich jünger (33 bis maximal 39 Jahre) als in der Gesamtstadt (40 bis 43 Jahre). Der ganz erhebliche Bevölkerungsaustausch und die altersstrukturellen Unterschiede zwischen der angestammten und der weg- und zugezogenen (Migranten-)Bevölkerung sind dafür ausschlaggebend.

Auch die Formen des Zusammenlebens haben sich erheblich verändert. Die durchschnittliche Haushaltsgröße hat in allen Vergleichsgebieten deutlich abgenommen, Zahl und Anteil der Alleinlebenden nahmen zu, dagegen nahmen Zahl und Anteil größerer Haushalte mit vier oder mehr Personen ab. Auch Zahl und Anteil der traditionellen Haushaltsformen (Familien mit und ohne Kinder) nahmen ab, während Alleinerziehende, nicht-eheliche Lebens- und Wohngemeinschaften in allen innerstädtischen Teilgebieten deutlich stärker zunahmen als in der Gesamtstadt Wiesbaden. Mit der fortschreitenden Alterung nehmen Zahl und Anteil der älteren Alleinlebenden insbesondere bei den Hochbetagten zu.

Die Bevölkerungsfluktuation im Sanierungsgebiet war in der Start- und Hauptphase der Sanierung (bis Ende der 1980er Jahre) sehr hoch, hat aber seither abgenommen. Im Inneren Westend war sie in den letzten Jahrzehnten noch erheblich stärker ausgeprägt als im Sanierungsgebiet, wo das Mobilitätsniveau etwa doppelt so hoch ist wie in der Gesamtstadt. Die Anteile langansässiger Ausländer nehmen im Sanierungsgebiet stärker zu als die bei der deutschen Bevölkerung.

Die Stadtforscher ermittelten eine deutliche räumliche Konzentration von Personen mit Bildungsdefiziten und Arbeitslosigkeit sowohl im Inneren Westend als auch im Sanierungsgebiet. Die Quoten bildungsbenachteiligter Kinder (unzureichender Kita-Besuch, Sprachauffälligkeiten, kein Deutsch als Familiensprache) sind beträchtlich. Im Inneren Westend ist der Durchschnitt der Erwachsenenarbeitslosigkeit 2,4 mal so hoch wie in der Gesamtstadt, im Sanierungsgebiet 2,7 mal so hoch. Für die Jugendarbeitslosigkeit wurden ähnliche Relationen ermittelt.

Das Sanierungsgebiet gehört in Wiesbaden zu den Quartieren mit der höchsten Armutskonzentration - die Belastungen des Gebiets nimmt durch stark zunehmende Armut weiter zu. Die Armutsquote insgesamt ist von 32 Prozent (2005) auf 39 Prozent (2017) angestiegen, weitaus stärker als im Inneren Westend oder anderen innerstädtischen Teilgebieten. Besonders ausgeprägt ist im Sanierungsgebiet die Kinderarmut: im Durchschnitt des Untersuchungszeitraums ab 2005 etwa 50 Prozent der unter 18-Jährigen. Aufgrund des hohen Anteils von Migranten, hoher Arbeitslosenquoten und erheblicher Bildungsdefizite bei Teilgruppen der Bevölkerung und fehlendem oder nur geringem Erwerbseinkommen zeigt sich als langfristige Auswirkung auch eine weiter wachsende Altersarmut.

Zusammenfassend kommt die Stadtanalyse zu den soziodemographischen Veränderungen im Sanierungsgebiet Bergkirchenviertel zu dem Schluss, dass sich die Veränderungen in der Bevölkerungszahl (mindestens bis in die 1990er Jahre) noch relativ eindeutig in Zusammenhang bringen lassen mit dem Fortschreiten der Sanierungsmaßnahmen. Für die langfristigen Veränderungen in der Bevölkerungs- und Sozialstruktur bilden das Wohnungsangebot und die Wohnungsstrukturen im Sanierungsgebiet (mit derzeit noch mehr als der Hälfte öffentlich geförderten Wohnungen mit Belegungsbindungen) prägende Voraussetzungen. Diese werden aber (offensichtlich immer stärker) überlagert von den Auswirkungen gesamtgesellschaftlicher Veränderungen: verstärkte Zuwanderungen aus der ganzen Welt, insgesamt steigende Mobilität und Bevölkerungsfluktuation, demographische Alterung, haushalts- und familienstrukturelle Veränderungen mit sich ändernden Formen des Zusammenlebens, Bildungsdefizite bei Teilgruppen und Risiken der Arbeits-losigkeit, wachsende Armut und Abhängigkeit von Transferleistungen.

Wer an Details der Wiesbadener Stadtanalyse „Soziodemographische Veränderungen und soziale Lage im Bergkirchenviertel“ interessiert ist, kann sie unter www.wiesbaden.de/statistik kostenfrei herunterladen.

Fragen beantwortet das Amt für Statistik und Stadtforschung unter Telefon (0611) 315691 oder per E-Mail an amt-fuer-statistik-und-stadtforschung@wiesbaden.de.

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Herausgeber:
Pressereferat
der Landeshauptstadt Wiesbaden
Schlossplatz 6
65183 Wiesbaden
Für Fragen der Bürgerinnen und Bürger
Telefonzentrale Rathaus:
Grafik: Ausländische Wohnbevölkerung im Sanierungsgebiet Bergkirchenviertel und in Vergleichsgebieten 1970 -2017 (Anteile in %)
Grafik: Ausländische Wohnbevölkerung im Sanierungsgebiet Bergkirchenviertel und in Vergleichsgebieten 1970 -2017 (Anteile in %)

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