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Amerikaner in Wiesbaden

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Am 28.03.1945 besetzten amerikanische Einheiten Wiesbaden und bezogen im Hotel Rose ihr Hauptquartier. Das gesamte Gebiet um den Kochbrunnen wurde zur militärischen Sperrzone erklärt. Die US Army übernahm das Kommando über die Stadt und beschlagnahmte zahlreiche Häuser sowie den Besitz von NSDAP und Wehrmacht. Wenig später folgten die Besatzungsoffiziere. Wiesbaden wurde Sitz des Military Government (MG) Detachment F1D2 unter Kommandant Oberst James R. Newman. Die Befehlszentrale befand sich in der Bierstadter Straße 7.

Ihre wichtigsten Aufgaben sahen die Amerikaner zunächst darin, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten und die »Reeducation« und Entnazifizierung der Bevölkerung anzustoßen. Ein striktes Fraternisierungsverbot wurde bis Oktober 1945 aufrechterhalten. Am 23.07.1945 wurden auf amerikanischen Befehl hin die Mainzer Vororte Amöneburg, Kastel und Kostheim nach Wiesbaden eingegliedert.

Die bis heute nachhaltigste Entscheidung der Amerikaner fiel am 19.09.1945 mit der Proklamation des Landes Groß-Hessen, bestehend aus den Regierungsbezirken Wiesbaden, Kassel und Darmstadt, sowie Wiesbadens als dessen Hauptstadt am 12.10.1945.

Die Hauptquartiere des American Red Cross, des European Exchange Service, der War Crimes Commission – unter anderem wurde auch Hermann Göring in der Villa Pagenstecher verhört – und des European Transport Systems zogen nach Wiesbaden, im Museum wurde einer von deutschlandweit drei Central Collecting Points eingerichtet. Das Hauptquartier der United States Air Force in Europe (USAFE) bezog das heutige hessische Justizministerium in der Luisenstraße.

Wiesbadens neue Rolle als eines der wichtigsten Verwaltungszentren der Amerikaner in ganz Europa hatte immer umfangreichere Beschlagnahmungen zur Folge. Das Kurhaus wurde zum Eagle Club, beinahe alle Hotels der Stadt waren für amerikanische Soldaten reserviert. Den Schiersteiner Hafen bzw. Teile desselben nutzte bis 1958 die Rhine River Patrol der US Navy.

Amerikaner und Deutsche arbeiteten und wohnten in Wiesbaden Tür an Tür, so nah an- und beieinander wie wohl in keiner anderen deutschen Großstadt. Dies sollte in Zukunft zum Grundstein einer besonders engen Beziehung werden. Eine der Wurzeln der beginnenden Völkerfreundschaft war aber die Hilfsbereitschaft der Sieger gegenüber den Nöten der Besiegten: Allein 1945 verteilten die Amerikaner über 600.000 t Lebensmittel, zumeist aus überzähligen Heeresbeständen. Tausende Kinder profitierten von der amerikanischen Schulspeisung. Im Sommer 1946 trafen die ersten Care-Pakete aus den USA hier ein. Überdies waren die Amerikaner in der Nachkriegszeit einer der wichtigsten Arbeitgeber in der Stadt.

Auf die Probe gestellt wurde die Freundschaft allerdings durch das Wohnungsproblem: Beim Einmarsch der Amerikaner hatte Wiesbaden 123.000 Einwohner; ein Jahr danach waren es bereits 198.000. Auch die Ämter und Ministerien des neuen Landes Hessen benötigten Raum, ebenso die Angestellten und Arbeiter der Firmen, Verlage und Versicherungen. 1946 waren 3.331 Wohnungen in über 700 Gebäuden von der Besatzungsmacht requiriert, 1948 waren es bereits fast 6.000. Die Folge war, dass alle nicht-militärischen Einrichtungen Wiesbaden wieder verlassen mussten – so das amerikanische Rote Kreuz – und dass die ehemaligen Kasernen und Liegenschaften der Wehrmacht verstärkt militärischen Zwecken zugeführt wurden. 1947 verließen die letzten »Displaced Persons« die Gersdorff-Kaserne in der Schiersteiner Straße und die USAFE zog in das sogenannte Camp Lindsey; das Hauptquartier folgte im Mai 1948. Das »Camp Pieri« auf dem Freudenberg und das Hospital am heutigen Konrad-Adenauer-Ring, beides ehemalige Wehrmachtseinrichtungen, sowie der Flugplatz Erbenheim, jetzt »Wiesbaden Airbase« oder »Y-80« genannt, wurden intensiv genutzt.

Die Zahl der in Wiesbaden stationierten Soldaten stieg ununterbrochen, von 12.000 im Jahr 1949 auf 16.000 zwei Jahre später. Es entstanden geschlossene Quartiere, sogenannte Housing Areas, die anfangs mit hohen Stacheldrahtzäunen gesichert waren. Trotzdem wurden die Wohnraumprobleme immer gravierender. Zugleich war endgültig klar geworden, dass die Amerikaner auf unbestimmte Zeit in Wiesbaden bleiben würden. Daher entstand in den 1950er-Jahren eine ganze Reihe von amerikanischen Hotels und weiteren Housing Areas, so das American Arms Hotel an der Frankfurter Straße 1950, das Amelia Earhart Hotel neben dem amerikanischen Hospital 1955, das General von Steuben Hotel in der Auguste-Viktoria-Straße. 1956. Seit 1954 wurden die Hainerberg Housing Area und die Aukamm Housing Area eröffnet. Diese riesigen von deutscher Seite finanzierten amerikanischen Wohnsiedlungen ermöglichten den völligen Rückzug der Amerikaner aus der Innenstadt. Die beschlagnahmten Gebäude wurden im Gegenzug zumeist bis 1956 freigegeben.

Die Selbstisolierung der Besatzer hatte zunächst kaum Auswirkungen auf das enge Verhältnis zwischen Deutschen und Amerikanern in der Stadt. Im Gegenteil, die Zahl der deutsch-amerikanischen Ehen stieg immer weiter an und machte zwischen 1955 und 1964 fast 10 % aller Eheschließungen aus. Seit 1946 waren die Amerikaner spürbar um ein gut-nachbarschaftliches Verhältnis bemüht. Eine wichtige Rolle spielten dabei die zahlreichen deutsch-amerikanischen Freundschaftsvereine wie die 1952 gegründeten Good Neighbors oder der 1949 auf Initiative amerikanischer Frauen ins Leben gerufene Deutsch-Amerikanischer Frauenclub Wiesbaden und die Deutsch-Amerikanischen Freundschaftswochen. Höhepunkt der deutsch-amerikanischen Freundschaft war der Besuch von Präsident John F. Kennedy 1963.

Sogar die 1968er-Bewegung und die Kritik am Vietnamkrieg verliefen in Wiesbaden vergleichsweise harmlos, wenngleich für die Amerikaner ein stärkerer Gegenwind spürbar wurde. Der Krieg in Fernost hatte auch sonst Auswirkungen: Einerseits stand weitaus weniger Geld als vor dem Krieg für die deutschen Mitarbeiter und für Maßnahmen der deutsch-amerikanischen Annäherung zur Verfügung, und andererseits änderte sich die Zusammensetzung der Truppe: Immer mehr Freiwillige waren in der Stadt stationiert. Dies wirkte sich negativ auf die Kriminalitätsrate, den Drogenkonsum und das Verhalten der amerikanischen Soldaten insgesamt aus. Hinzu kam seit 1970/71 ein rapider Währungsverfall des Dollar. 1973 wurden das Hauptquartier der USAFE aus Kostengründen nach Ramstein verlegt und die Airbase in Erbenheim sowie alle andere Liegenschaften der Air Force von der US Army übernommen. Von zuletzt noch 21.000 Amerikanern verließen 15.000 die Stadt.

Als bekannt wurde, dass in Wiesbaden nun starke Kampfverbände untergebracht werden sollten, formierte sich umgehend der Widerstand von deutscher Seite, doch konnte dieser von den amerikanischen Militärs noch zerstreut werden. Am 14.03.1976 wurde die Brigade 76 nach Wiesbaden verlegt. 1977 waren nicht einmal mehr 5.000 Amerikaner, ausschließlich Infanteristen, in Wiesbaden stationiert, die weitgehend isoliert von der Stadtgesellschaft lebten.

In den 1980er-Jahren kamen zu den bestehenden Spannungen zwischen Deutschen und Amerikanern noch das neu gewonnene Umweltbewusstsein und die Friedensbewegung hinzu. Insgesamt war das Klima zwischen Amerikanern und Deutschen insbesondere aufgrund der terroristischen Anschläge auf amerikanische Militäreinrichtungen und der immer stärker werdenden Anti-Kriegs- und Umweltbewegung von Misstrauen geprägt. Tiefpunkt war sicherlich das Jahr 1985, als von amerikanischer Seite, in Reaktion auf die Ermordung eines Soldaten durch die Rote Armee Fraktion in Wiesbaden, Freundschaftsfeste und der Tag der Offenen Tür abgesagt wurden. Weitere Auseinandersetzungen schlossen sich an; nach den Panzern entzündete sich der Streit an der Stationierung von Kampfhubschraubern und Kampfjets in Erbenheim – es war die Zeit heftigen Widerstandes gegen die Aufstellung von Pershing-II-Raketen in Westeuropa. Ein Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden gegen die Stationierung weiterer Kampfeinheiten aufgrund des Fehlens eines entsprechenden Genehmigungsverfahrens goss 1988 zusätzlich Öl ins Feuer. Am 14.12.1989 genehmigte der Deutsche Bundestag dennoch die Aufstellung von bis zu 100 Flugzeugen. Dass es dazu nicht mehr kam, lag am Fall des Eisernen Vorhanges.

Die 1990er-Jahre brachten große Truppenreduzierungen, die Amerikaner räumten ihre hiesigen Kasernen (»Camp Pieri« Oktober 1992, »Lindsey Air Station« 1993). Die Kontakte zwischen Deutschen und Amerikanern beschränkten sich weiterhin auf ein Minimum. Diese Tendenzen zur Abschottung wurden durch die schrecklichen Ereignisse des 11.09.2001 dann verständlicherweise noch verstärkt, auch wenn unzählige Wiesbadener in vielen Aktionen ihr Mitgefühl zum Ausdruck brachten.

Seit 2005 trat jedoch erneut ein Wandel in den deutsch-amerikanischen Beziehungen ein: Mit der Verlegung des europäischen Hauptquartiers von Heidelberg nach Wiesbaden wurde die Stadt einer von mehreren großen, gut ausgestatteten Hauptstandorten der amerikanischen Armee in Europa und Asien. Seit Herbst 2012 werden alle Einsätze und Übungen der US Army in Wiesbaden koordiniert; die Stadt ist zudem Sitz des Hauptquartiers der 7. Armee und Verwaltungszentrum für alle US-Einheiten in Europa.

Literatur

Baker, Anni: Wiesbaden and the Americans 1945–2003. The Social, Economic, and Political Impact of the U.S. Forces in Wiesbaden, Wiesbaden 2004 (Schriften des Stadtarchivs Wiesbaden 9).

60 Jahre Luftbrücke. Wiesbaden als Zentrale des »Big Lift«. Hrsg.: Magistrat der Landeshauptstadt Wiesbaden – Kulturamt/Projektbüro Stadtmuseum, Wiesbaden 2008.

»Wunderland«. Die Amerikaner in Wiesbaden. Hrsg.: Müller, Helmut, Frankfurt am Main 2013.

US-Wohnsiedlung Hainerberg, 1964 wiesbaden.de/ Stadtarchiv Wiesbaden, F001-451, Urheber: Joachim B. Weber
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