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Fotografie

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In Wiesbaden boten zahlreiche Sehenswürdigkeiten sowie die Kurgäste Portrait- und Objektfotografen ein breites Betätigungsfeld. Seit 1842 sind Besuche von Wanderfotografen aus Österreich, Frankreich und der Schweiz in Wiesbaden dokumentiert. 1843 richtete Carl Ziß das erste Atelier in Wiesbaden ein. Er fertigte die erste von Wiesbaden erhaltene Aufnahme, die die Russische Kirche 1853 noch vor ihrer Einweihung zeigt, für das Erinnerungsalbum der Prinzessin Tekla zu Wied an.

In den 1850er-Jahren kamen viele Fotografen weiterhin nur zur Kursaison in der Stadt. 1866 boten bereits 13 Fotografen, darunter eine Frau, ihre Dienste an. Die Malerin Ottilie Wiegand aus Berlin, Hoffotografin des Herzogs zu Nassau, betrieb ihr Atelier in der Taunusstraße von 1862–1902. Viele der frühen Fotografen übten anfangs einen anderen Beruf aus: Ziß war ursprünglich Lithograf, der Darmstädter Hermann Gläser war Zeichenlehrer, Silhouettenzeichner bzw. Buchbinder, bevor er sich der Fotografie zuwandte.

Peter Mondel aus Erbach allerdings kam 1860 als Fotograf nach Wiesbaden. Mit Emil Jacob gründete er das Atelier »Mondel & Jacob«, das sich später durch seine großformatigen Architekturfotografien einen Namen machte. Unter der künstlerischen Leitung Mondels entstanden in der Folgezeit höchst professionelle Bilder klassischer Wiesbadener Motive wie des alten Theaters mit dem Hotel Nassauer Hof, der Kaiser-Wilhelms-Heilanstalt oder dem älteren Kurhaus. Auf dem Massenmarkt konnten sich die großformatigen Werke von Mondel & Jacob nie durchsetzen. Es herrschten kleine Erinnerungsbilder im Visitenkartenformat vor, bevor Anfang des 20. Jahrhunderts der Siegeszug der Bildpostkarte begann.

Adolf Elnain (1877–1945) setzte mit künstlerischen Porträtfotos der Größen seiner Zeit in höchster Qualität bleibende Akzente. Elnain erlernte sein Handwerk im Atelier des Frankfurter Fotografen J. B. Ciolina. 1903 nach Wiesbaden gekommen, betrieb er sein Atelier zeitweise im Zwischenstock des Hotels Vier Jahreszeiten. Neben Kurgästen aus dem In- und Ausland zählten v. a. begüterte Adlige, z. B. Großherzog Ernst Ludwig von Hessen, Gelehrte, Staatsmänner und Künstler zu seinen Modellen, nach dem Ersten Weltkrieg auch Offiziere der französischen und englischen Besatzungsmacht sowie Politiker, Schauspielerinnen, Maler, Dichter und Musiker.

Im April 1901 gründete sich in Wiesbaden ein »Amateur-Photographen-Verein«, der seinen Mitgliedern ein anspruchsvolles Programm mit zahlreichen Fachvorträgen zu Geschichte und Technik der Fotografie bot. 1903 wurde im Rathaus die »Erste Internationale Ausstellung für künstlerische Bildnis-Photographie« gezeigt, auf der sich namhafte in- und ausländische Berufsfotografen präsentierten. Unter ihnen waren die Fotografen Renger-Patzsch aus Dresden, Steichen und Stieglitz aus New York, die junge Baseler Fotografin Maria Bernoulli, die spätere erste Frau von Hermann Hesse, sowie auch Adolf Elnain. 1904 ist das Gründungsjahr der Fotografischen Gesellschaft Wiesbaden, einer der ältesten Fotoclubs in Deutschland – auch dies ein Beleg für den Stellenwert, den die Fotografie in der Kurstadt genoss.

Zu den bedeutenden Wiesbadener Fotografen der Jahrhundertwende zählt Richard Strauch (1874 1964), der sich wie viele seiner Kollegen in erster Linie der Porträtfotografie widmete. 1906 eröffnete er sein Fotogeschäft in der Bahnhofstraße und dokumentierte zahllose Besuche hoher Gäste. Der Fotograf Willi Rudolph (1898–1973) war gelernter Buchdrucker. Sein Hobby Fotografie machte er während des Zweiten Weltkrieges zu seinem Beruf und arbeitete von nun an als selbstständiger Pressefotograf für Wiesbadener Zeitungen, Werbung und Industrie. Mit seiner Kamera hielt er die Verwüstungen nach dem alliierten Luftangriff vom 02. auf den 03.02.1945 für die Nachwelt fest. Auch Ludwig Herbst (1912–2003) arbeitete für die Zeitungen; seine Fotos der Wiesbaden-Besuche der englischen Königin Elisabeth II., des ersten deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer sowie des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy sind legendär.

Die Stadt Wiesbaden selbst hat in der Nachkriegszeit Fotografen beschäftigt, um wichtige Ereignisse der Stadtpolitik, aber auch Veränderungen im Stadtbild fotografisch zu dokumentieren, so den Fotografen Joachim Weber (*1927), der diese Funktion 30 Jahre lang innehatte.

Fotografisches Zubehör wurde ursprünglich ebenfalls von den Wanderfotografen feilgeboten. Das änderte sich 1884, als Johann Christian Tauber sein »Versandhaus für Photographische Apparate und Drogerie Nassovia Medizinisches Versandhaus« gründete. Carl Besier eröffnete 1912 sein erstes Fotogeschäft und konnte schon bald expandieren; die Firma bestand bis 2016. Kameras wurden ebenfalls in Wiesbaden produziert.

Die Fotografie wird in Wiesbaden nach wie vor gepflegt, unter anderem durch die Wiesbadener Fototage, die seit 2002 alle zwei Jahre an wechselnden Orten ein Forum für einheimische und ausländische Fotografen bieten.

Literatur

Kleineberg, Günther: Adolf Elnain (1877–1945). Ein Wiesbadener Portätphotograph, Wiesbaden 1977.

Kleineberg, Günther: Wiesbaden im Bild 1840–1870, Wiesbaden 1979.

Rudolph, Richard (Hrsg.): Wiesbaden damals. 257 historische Fotos, Wiesbaden 1991.

Weichel, Thomas: Zeitloser Blick? Stanislaw Chomicki in der Tradition der Wiesbadener Fotografen. In: Höppli & Chomicki [S. 21–25].