Sprungmarken

Handwerkskammer Wiesbaden

Artikel

Am 24.06. 1897 verabschiedete der Deutsche Reichstag das Gesetz über die Abänderung der Gewerbeordnung (auch »Handwerkergesetz«), das u. a. die Errichtung von Handwerkskammern (HWK) anordnete. Ihre wichtigste Aufgabe war die Regelung des Lehrlingswesens, insbesondere die Überwachung der diesbezüglichen Vorschriften und die Berufung der Prüfungsausschüsse zur Abnahme der Gesellenprüfungen. Höchstes Organ der Handwerkskammer war die Vollversammlung, deren Mitglieder zunächst von den Gewerbevereinen und Innungen gewählt wurden. In Preußen waren die Handwerkskammerbezirke identisch mit den Regierungsbezirken. Die Geschäfte der Handwerkskammer für den Regierungsbezirk Wiesbaden mit Sitz in Wiesbaden führte der Vorstand unter Leitung eines Vorsitzenden und mit Unterstützung eines hauptamtlichen Sekretärs (Syndikus). Zum Vorsitzenden (ab 1926: Präsident) wählte die Vollversammlung am 15.05.1901 den Wiesbadener Schreinermeister Heinrich Schneider, zum Sekretär Albert Schröder, ebenfalls aus Wiesbaden, der bis 1927 im Amt blieb. Auf Schneider folgten 1910 der Metzgermeister Adolf Jung aus Frankfurt und 1915 der Zimmermeister Hermann Carstens aus Wiesbaden. Bereits 1909 organisierte die Handwerkkammer in Wiesbaden die weit über die Grenzen der Region beachtete Ausstellung für Handwerk und Gewerbe, Kunst und Gartenbau mit über 1,5 Millionen Besuchern. Ein eigenes Gebäude erhielt sie erst 1919 mit dem Erwerb des Hauses Nikolasstraße 41 (heute Bahnhofstraße). Am 15.10.1911 errichteten Handwerkskammer und Innungsausschuss in Wiesbaden ein Handwerksamt; weitere Handwerksämter in Frankfurt am Main (1913), Limburg (1920) und Bad Homburg (1920) folgten. Ihre Tätigkeit erstreckte sich auf die Beratung der Handwerker in rechtlichen, steuerlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten. Das Handwerksamt Wiesbaden wurde am 01.04.1923 wieder aufgelöst. Seine Aufgaben übernahm die Handwerkskammer. Die verbliebenen Handwerksämter entwickelten sich in der Folge zu Geschäftsstellen der HWK. 1932 vergrößerte sich der Kammerbezirk durch die Angliederung des Kreises Wetzlar.

Im Rahmen der Gleichschaltungspolitik der Nationalsozialisten mussten Vollversammlung und Präsidium der Handwerkskammer zurücktreten und wurden durch Anhänger oder doch wenigstens Sympathisanten der NSDAP ersetzt. Zum Nachfolger des bisherigen Präsidenten, Schornsteinfegermeister Karl Maier aus Wiesbaden, wurde Spenglermeister Wilhelm Georg Schmidt aus Wiesbaden bestimmt, der 1934 zum Reichshandwerksmeister aufstieg und durch den Wiesbadener Friseurmeister Fritz Müller ersetzt wurde. Müller blieb bis zur formellen Auflösung der Handwerkskammer, die zum 01.01.1943 in der Gauwirtschaftskammer Rhein-Main aufging, im Amt. Das Gesetz über den vorläufigen Aufbau des deutschen Handwerks vom 29.11.1933 nahm den Handwerkskammern ihre Unabhängigkeit als Selbstverwaltungsorgane des Handwerks. Fortan galt auch offiziell das Führerprinzip. Außerdem wurde die Handwerkskammer der Aufsicht des Reichswirtschaftsministers unterstellt. Was viele Handwerker über diese Vereinnahmung hinwegtröstete, war die Einführung des »Großen Befähigungsnachweises« (Meisterpflicht) durch Gesetz vom 18.01.1935. Er erlaubte es nur Meistern und Gleichgestellten, handwerkliche Betriebe zu führen. Noch vor der Kapitulation Deutschlands formierte sich die Handwerkskammer neu.

Am 16.04.1945 setzte der Aufbau-Ausschuss in Absprache mit der amerikanischen Militärregierung den Wiesbadener Malermeister Karl Schöppler kommissarisch als Präsidenten der Handwerkskammer ein. Er blieb bis 1978 im Amt. Da ihr Gebäude in der Bahnhofstraße von den Amerikanern beschlagnahmt worden war, musste die Handwerkskammer vorübergehend unter sehr beengten Verhältnissen im Haus Friedrichstraße 27 ihren Aufgaben nachkommen. Weitaus schwerer wog allerdings die Tatsache, dass die amerikanische Militärregierung den Handwerkskammern durch Direktive vom 29.11.1948 ihren Status als öffentlich-rechtliche Körperschaften aberkannt hatte. Ihre frühere Rechtsgrundlage erhielten sie erst wieder durch das Gesetz zur Ordnung des Handwerks (Handwerksordnung) vom 23.09.1953, das sogenannte Grundgesetz des Handwerks, das im Übrigen auch wieder den Großen Befähigungsnachweis einführte. Nach 1945 wurden die Grenzen des Bezirks der Handwerkskammer neu gezogen. Im Zuge der Verwaltungsreform und des Zusammenschlusses der Handwerkskammern Frankfurt und Darmstadt musste die Handwerkskammer Wiesbaden 1979 den Main-Taunus-Kreis und den Hochtaunuskreis an die neu gegründete HWK Rhein-Main abtreten, sodass ihr Bezirk heute die Stadt Wiesbaden, den Rheingau-Taunus-Kreis, den Kreis Limburg-Weilburg, den Lahn-Dillkreis, den Kreis Gießen, den Vogelsbergkreis, den Wetteraukreis und den Main-Kinzig-Kreis umfasst. Das Kammergebäude in der Bahnhofstraße wurde 1955 umfassend saniert und erweitert.

1968 errichtete die Handwerkskammer in der Wiesbadener Brunhildenstraße ein Berufsbildungs- und Technologiezentrum (BTZ), dem 1974 ein Internat angegliedert wurde. 1978 wurde es in »Karl-Schöppler-Haus« umbenannt. Im gleichen Jahr eröffnete die H. in Wetzlar ein zweites BTZ, das heutige »Arnold-Spruck-Haus«, benannt nach Kammerpräsident Spruck aus Nidda. 2003 kam für die Aus- und Fortbildung im Metallbereich ein weiteres BTZ am Moltkering in Wiesbaden hinzu, das heutige »Robert-Werner-Haus«. Anfang 2004 bezog die Handwerkskammer in der Bierstadter Straße 45 in Wiesbaden ein neues Verwaltungsgebäude. Die Handwerkskammer betreut heute (31.12.2014) rund 25.500 Mitgliedsbetriebe.

Literatur

5 Jahre Handwerkskammer für den Regierungsbezirk Wiesbaden. Im Auftrag der Handwerkskammer verfaßt von dem wissenschaftlichen Hilfsarbeiter der Kammer Dr. E. Bruch, Wiesbaden 1925.

100 Jahre Handwerkskammer Wiesbaden 1900–2000, Wiesbaden 2000.

Verweis