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Jüdische Gemeinde Wiesbaden (nach 1945)

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Bereits unmittelbar nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft kamen erneut Juden nach Wiesbaden. Meist waren es polnische Juden, die die Shoah in den Lagern überlebt hatten und darauf warteten, in die USA, nach Palästina oder nach Australien auswandern zu können. Auch ehemals jüdische Mitbürger kehrten zurück, so Claire Guthmann und ihre Tochter Charlotte, die im Mai 1945 aus dem KZ Theresienstadt zurückkamen. Im Frühsommer trafen Ludwig Fried und Tochter Anita (verh. Lippert), Erich und Günther Kahn mit ihrem Vater Max, Marianne Kahn und ihr Vater Adolf, Heinz Liechtenstein und sein 12-jähriger Sohn Rolf in Wiesbaden ein. Eva Gerstle-Wertheimer, die mehrere KZs und einen Todesmarsch überlebt hatte, kam im Juni.

Claire Guthmann stellte am 21.07.1945 einen Antrag auf »Neugründung« der Gemeinde, die bis 28.07. erfolgte. Das Gemeindebüro befand sich im ehemaligen jüdischen Altersheim in der Geisbergstraße 24, zusammen mit einem Büro der jüdischen Hilfsorganisationen. Rabbiner Dr. Leopold Neuhaus in Frankfurt am Main war offiziell für die religiöse Betreuung der Gemeinde zuständig. Die halb zerstörte Synagoge in der Friedrichstraße wurde mithilfe der US-Army wieder hergerichtet. Seit Januar 1946 leitete ein neunköpfiges Komitee die Gemeinde. An der Spitze stand Dr. Leon Frim, ein Rechtsanwalt aus Lemberg, der die Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald überlebt hatte. Martin Hornung fungierte als ständiger Sekretär, Jacob David »Jack« Matzner als Finanzreferent, Dr. Baruch Laufer als Referent für Betreuungsangelegenheiten und Wiedergutmachungsfragen und Chaijim Hecht als Rabbiner. Dazu kamen die Herren Sax, Ehrhaft und Isaaksohn sowie Frau Claire Guthmann. Bis Oktober 1946 hatte sich eine Gemeinde mit 226 Mitgliedern gebildet. Am Chanukka-Fest 5707 (22.12.1946) konnte schließlich in einem feierlichen Akt, an dem auch der hessische Militärgouverneur James R. Newman teilnahm, die ehemalige Synagoge in der Friedrichstraße 33 ihrer Bestimmung übergeben werden. Einige Kultgeräte, die vor der Zerstörung des Gotteshauses von dem ehemaligen Gemeindediener Hubert Maurer sichergestellt worden waren, und die einzig erhalten gebliebene Thorarolle wurden feierlich übergeben.

In den 1960er- und 1970er-Jahren kamen deutsche Juden aus der Emigration in Südamerika – vornehmlich aus Chile – zurück, Familien aus den Ostblockstaaten zogen zu, u. a. aus Rumänien. So herrschten in der Gemeinde stets verschiedene Sprachen vor: Polnisch mit Jiddisch, das Deutsch der Rückkehrer, oft gepaart mit Spanisch, zunehmend auch Rumänisch und Ungarisch und das amerikanische Englisch der jüdischen Soldaten der US-Streitkräfte, die zum Gottesdienst in die Friedrichstraße kamen. Anstelle der alten konnte Landesrabbiner Dr. Isaak Emil Lichtigfeld an RoschHaSchana (11.09.1966) die neue Synagoge in der Friedrichstraße weihen. Ab 1990 begann die Zuwanderung von Juden aus der Sowjetunion.

Heute (Stand 2015) ist die Jüdische Gemeinde mit rund 780 Mitgliedern die drittgrößte in Hessen. Die Jüdische Gemeinde ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und gehört dem Landesverband der jüdischen Gemeinden in Hessen an. 2008 schloss sie mit der Stadt Wiesbaden einen Vertrag, in dem die gegenseitige Verantwortung und das gute Verhältnis zwischen der Wiesbadener Bürgerschaft und ihren jüdischen Mitbürgern schriftlich fixiert wurden.

Literatur

Es begann an Chanukka. Wiesbaden – Eine Gemeinde dank amerikanischer Hilfe. In: Jüdische Allgemeine vom November 2006.

Müller-Gerbes, Heidi: Jüdische Gemeinde feiert ein Doppeljubiläum. In: FAZ 8.11.2006.

ZU HAUSE? Zeitung zur Ausstellung anlässlich des 60. Jahrestages der Wiedereröffnung der Jüdischen Gemeinde Wiesbaden und des 40. Jahrestages der Einweihung der Synagoge in der Friedrichstraße. Sonderbeilage des Wiesbadener Kuriers und des Wiesbadener Tagblatts vom 10.11.2006.