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Landstände des Herzogtums Nassau

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Im Unterschied zu vielen anderen Territorien, die bereits im Alten Reich über Landstände verfügten, konnten sich in den kleinräumigen nassauischen Landesherrschaften keine vergleichbaren altständischen Vertretungskörperschaften entwickeln. Dafür hatte das 1806 errichtete Herzogtum Nassau besonderen Anteil an der zeitgemäßen Weiterentwicklung solcher Repräsentativorgane. Mit der Verfassung vom 01./02.09.1814 vollzog es als erster deutscher Staat den Schritt zu einem nach den Prinzipien der konstitutionellen Monarchie organisierten Landtag, wie er wenig später in der Deutschen Bundesakte 1815 verbindlich vorgeschrieben wurde. Es dauerte allerdings noch längere Zeit, ehe der verfassungsmäßig vorgesehene nassauische Landtag erstmals einberufen wurde. Die Eröffnung fand am 03.03.1818 in einem als Thronsaal hergerichteten Raum des alten Schlosses am Marktplatz in Wiesbaden statt. Das neu geschaffene Gremium bestand aus 34 Personen und gliederte sich in zwei Kammern. Die Herrenbank setzte sich aus sechs erblichen und sechs von den adligen Gutsbesitzern gewählten Mitgliedern zusammen. Von den 22 Sitzen der Deputiertenkammer entfielen vier auf die Repräsentanten der Kirchen und Schulen, drei auf Vertreter der Gewerbetreibenden und 15 auf Abgeordnete der bürgerlichen Grundbesitzer. Für die Wahlmitglieder der Deputiertenkammer galt ein an die Steuerleistung gebundener strenger Zensus. Er führte dazu, dass nur 2,2 % der erwachsenen männlichen Bevölkerung das aktive und 0,4 % das passive Wahlrecht besaßen.

Der Landtag der Revolutionszeit bestand nur noch aus einer Kammer. Seine 41 Mitglieder wurden gemäß Gesetz vom 28.03.1848 nach einem allgemeinen, gleichen und geheimen, aber indirekten Wahlrecht gewählt. Die Urwähler wählten Wahlmänner, die ihrerseits die Abgeordneten wählten. Frauen blieben weiterhin von einer Teilnahme ausgeschlossen. Mit dem Sieg der Reaktion kehrte auch das Zweikammersystem zurück. Die in zwei Edikten vom 25.11.1851 geregelte Neuformierung erweiterte die früher allein dem Adel vorbehaltene Erste Kammer um die beiden Bischöfe sowie um sechs Abgeordnete der höchstbesteuerten Grundbesitzer und drei Abgeordnete der höchstbesteuerten Gewerbetreibenden. Die 24 Abgeordneten der Zweiten Kammer wurden nach einem indirekten Dreiklassenwahlrecht gewählt. Das aktive Wahlrecht stand allen männlichen Staatsbürgern ab 25, das passive ab 30 Jahren zu. 1843/44 zogen Herrenbank und Deputiertenkammer in den Neubau des Ministerialgebäudes an der Ecke Bahnhof-/Luisenstraße um.

Wichtigste Rechte der Landstände waren die Haushalts- und Steuerbewilligung, die Mitwirkung bei der Gesetzgebung sowie die Kontrolle der Verwaltung. Außerdem hatten sie über die Einhaltung der bürgerlichen Grundrechte zu wachen sowie Petitionen entgegenzunehmen und über notwendige Abhilfen zu beraten. Die Wirkungsmöglichkeiten der Landstände hingen jedoch nicht allein von der verfassungsmäßigen Zuständigkeit ab, sondern ebenso stark von der Machtverteilung zwischen Landtag und Regierung. Im Vormärz hatten Herzog und Regierung ein deutliches Übergewicht. Demgegenüber suchten die von der Revolution 1848 getragenen Volksvertreter ihrerseits die Führungsrolle zu übernehmen. Auch die reaktionäre Wende des Jahres 1851 konnte das inzwischen gewonnene ständische Selbstbewusstsein nur vorübergehend dämpfen. In den 1860er-Jahren entwickelte sich der von der liberalen Fortschrittspartei dominierte Landtag zu einem kraftvollen Gegenspieler der Regierung, der zwar machtpolitisch noch unterlegen war, den Übergang von einer konstitutionellen zu einer parlamentarischen Monarchie aber in greifbare Nähe rückte.

Literatur

Nassauische Parlamentsdebatten. Bd. 1: Restauration und Vormärz 1818–1847, bearb. von Volker Eichler, Wiesbaden 1985. Bd. 2: Revolution und Reaktion 1848–1866, eingeleitet und hrsg. von Winfried Schüler, Wiesbaden 2010 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau 35/1 u. 2).