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Schulte, Alfred

Schulte, Alfred

Verwaltungsbeamter, Wiesbadener NSDAP-Oberbürgermeister

geboren: 17.02.1872 in Iserlohn

gestorben: 14.10.1957 in Wiesbaden


Artikel

Von 1878 bis 1882 besuchte Alfred Schulte die Elementarschule Iserlohn. Nach dem Abitur im Jahr 1891 auf dem Realgymnasium Iserlohn arbeitete er für ein Jahr in der Eisenbahnhütte in Dortmund. Anschließend zog Schulte nach Hannover und begann ein Studium an der Königlichen Technischen Hochschule, welches er nach bestandenem Vorexamen in Berlin weiterführte. In Berlin schloss er 1895 sein Studium mit dem Regierungsbauführerexamen ab und trat eine Stelle im Büro für Bahnen und Bauten der Firma Allgemeine Electricitäts-Gesellschaft (AEG) in Berlin an. Hier war er Oberingenieur.

Nach zwei Jahren wechselte Schulte zur Eisenbahndirektion Berlin und ließ sich in der Eisenbahnwerkstatte Potsdam zum Lokomotivführer aus- und weiterbilden. Parallel absolvierte er ein Studium an der Technischen Hochschule Berlin in »elektronischen und handelswissenschaftlichen Fächern«. 1897 zog er nach Dresden, wo er die nächsten fünf Jahre als Oberingenieur bei der Aktiengesellschaft Elektrizitätswerke tätig war. 1903 bewarb sich Schulte auf die Stelle des Elektroingenieurs und Abteilungsleiter der Wasser-, Gas- und Elektrizitätswerke Wiesbaden, die er 1904 antrat. Vier Jahre später leitete Schulte für knapp zwei Jahre kommissarisch die Wiesbadener Wasser-, Gas- und Elektrizitätswerke.

Am 10. September 1913 wurde Schulte als besoldeter Stadtrat in den Magistrat der Stadt Wiesbaden gewählt. Er wurde stellvertretender Vorsitzender »der Deputation der Wasser- und Lichtwerke«. Zusätzlich wurde er zum Stadtkämmerer ernannt. 1915/16 sorgte er für die Einführung eines neuen Buchungssystems in der Stadtverwaltung, des sogenannten Wiesbadener Systems. Am 20. März 1920 wurde Schulte von der Stadtverordnetenversammlung zum Zweiten Beigeordneten gewählt. Er blieb auch Stadtkämmerer.

Wiesbaden wurde nach dem Ersten Weltkrieg im Zuge der Rheinlandbesatzung von alliierten Truppen besetzt. Nachdem die Besatzungsverwaltung den Wiesbadener Oberbürgermeister Fritz Travers 1923 ausgewiesen hatte, leitete Schulte bis 1924 kommissarisch die Stadtverwaltung. Travers konnte im November 1924 sein Amt wieder aufnehmen. Im gleichen Jahr wurde Schulte Erster Beigeordneter (Zweiter Bürgermeister), 1925 Bürgermeister. Von 1925 bis 1933 amtierte Schulte als Vorsitzender des Nassauischen Städtetages. Er leitete, nachdem Travers 1929 verstorben war, bis zur Nachwahl des liberalen Politikers Georg Krücke (DVP) am 28. März 1930 erneut kommissarisch die Stadtverwaltung.

Nach der »Machtübernahme« Hitlers im Januar 1933 entließen die Nationalsozialisten eine große Anzahl politisch andersdenkender Beschäftigter im öffentlichen Dienst. Die von Reichspräsident Hindenburg am 28. Februar 1933 erlassene »Verordnung zum Schutz von Volk und Staat« setzte auch in Wiesbaden elementare Grundrechte außer Kraft. Nachdem die NSDAP im März 1933 die Kommunalwahl für sich entschieden hatte, wurde Oberbürgermeister Georg Krücke noch am Wahltag festgenommen, kurz darauf wieder freigelassen und unter Polizeiaufsicht gestellt. Am 3. Juni 1933 trat Krücke aufgrund des auf ihn ausgeübten Drucks vom Amt des Oberbürgermeisters zurück. Alfred Schulte unterstützte diese Vorgänge nicht aktiv, trat allerdings am 1. Mai 1933 in die NSDAP ein, zuvor war er parteilos gewesen. Auch wurde Schulte Förderndes Mitglied der SS und zahlreicher weiterer NS-Organisationen. Die Fördernden Mitglieder der SS bildeten eine Unterorganisation der SS, der auch Nicht-NSDAP-Angehörige beitreten konnten und die der Spendensammlung für den Auf- und Ausbau der SS diente. Mit den in der Regel monatlich zu entrichtenden finanziellen Zuwendungen war kein Formaldienst in der SS verbunden.

Nach Krückes Rücktritt sollte das Amt des Wiesbadener Oberbürgermeisters zunächst durch ein altgedientes Mitglied der NSDAP besetzt werden. Die Nationalsozialisten verfügten allerdings über keinen fachlich geeigneten Kandidaten.

So geriet Schulte ins Blickfeld von Felix Piékarski, dem Kreisleiter und Fraktionsvorsitzenden der Wiesbadener NSDAP. Piékarski unterstützte Schultes Kandidatur zum Oberbürgermeister, die ihm selbst den Aufstieg zum Bürgermeister ermöglichte.

Die Ernennung Schultes zum Oberbürgermeister am 6. Oktober 1933 stellte seinen Karrierehohepunkt dar. Da Schulte aus Altersgründen nur eine kurze Amtszeit bevorstand, kann er als Übergangskandidat für die Suche nach einem jüngeren geeigneten NSDAP-Kandidaten gesehen werden. Zur Förderung seiner Karriere sah Schulte auch in den kommenden Wochen und Monaten über die Gewalt gegen politisch Andersdenkende, insbesondere betroffen waren Mitglieder der KPD und SPD, und Morde an Juden durch die SA in Wiesbaden hinweg. In der Parteipolitik der NSDAP engagierte er sich nicht.

Am 8. August 1933 wurde Schulte in der 7. Sitzung der Stadtverordnetenversammlung zum Oberbürgermeister gewählt. Aus diesem Anlass hielt er eine kurze Rede, in der er herausstellte, dass er nicht erst seit der »Machtübernahme« gut mit der NSDAP zusammengearbeitet habe, sondern bereits zuvor eine enge Beziehung bestand.
In den Sitzungsprotokollen der Stadtverordnetenversammlung und der Ratsherren haben sich von Schulte vorgetragene Bekenntnisse zum NS-Regime und Adolf Hitler erhalten. In der ersten Sitzung der Stadtverordnetenversammlung nach der »Machtübernahme« lobte Schulte im März 1933 einleitend Adolf Hitler und die neuen politischen Verhältnisse.

In den Jahren 1933 bis 1937 hatte Schulte durch sein politisches Amt Anteil an der Etablierung und Festigung des NS-Regimes und seiner Strukturen auf kommunaler Ebene. Schulte war zwar nicht direkt an Verbrechen oder an der Entrechtung etwa der jüdischen Bevölkerung oder von Sinti und Roma beteiligt, er war jedoch über sie informiert und trug sie mit. Auch die Unterdrückung und Verfolgung politischer Gegner der Nationalsozialisten fand mit Kenntnis und unter passivem Einverständnis des Oberbürgermeisters statt.

Bei der Vereidigung neuer Ratsherren im Jahr 1935 dankte Schulte der NS-Regierung und Hitler.

In der Amtszeit Alfred Schultes als Oberbürgermeister erholte sich die Wiesbadener Wirtschaft im Kontext des allgemeinen Konjunkturaufschwungs. Sichtbare Ergebnisse dieses Aufschwungs war die Eröffnung des Opelbades auf dem Neroberg im Jahr 1934 sowie die sogenannte braune Messe im Paulinenschlösschen im Oktober 1933, auf der als »arisch« geltendes Handwerk präsentiert wurde. Die Nationalsozialisten setzten auch im kulturellen Bereich in Schultes Amtszeit neue Akzente, so wurde das 2000-jährige Jubiläum, ein fiktiv festgesetztes Datum, mit einem großen Festumzug gefeiert. Im März 1937 wurde die antijüdische und antisoziale Ausstellung »Entartete Kunst« im Landesmuseum gezeigt.

Als oberster Repräsentant der Stadt empfing Schulte im Marz 1935 auch den Führer und Reichskanzler Adolf Hitler in Wiesbaden, dem zu Ehren ein Festkonzert im Wiesbadener Kurhaus veranstaltet wurde.

Alfred Schulte schied aus Altersgründen am 31. März 1937 aus dem Amt des Oberbürgermeisters der Stadt Wiesbaden aus. Seine Nachfolge trat der bisherige NSDAP-Oberbürgermeister von Tilsit, Erich Mix, an. Schulte lebte fortan als Pensionär in Wiesbaden und trat nicht mehr öffentlich in Erscheinung. Nach ihm ist, eine 1937, wohl zu seiner Pensionierung eingeweihte Schutzhütte benannt.
Nach 1945 versuchte Schulte, sein Handeln gegenüber der zuständigen Wiesbadener Spruchkammer zu rechtfertigen. Er erklärte, niemals ein »Nazi-Aktivist oder Nutznießer« gewesen zu sein. Er sei vielmehr »ein unbeirrbarer Streiter für saubere Gesinnung in allen Fragen des Lebens, für Gerechtigkeit, für Menschlichkeit, und für Freiheit im Geist« gewesen. Schulte verklarte sein Handeln als NSDAP-Politiker durch Verweise auf die schwierige wirtschaftliche Lage der Stadt Wiesbaden zu Beginn der 1930er Jahre. Zugleich reklamierte er für sich, dass es nur seiner Autorität zu verdanken gewesen sei, dass es keinen radikalen, gewaltsamen Umbruch mit Ausschreitungen 1933 in Wiesbaden gegeben habe.

Schulte gab in seinem Entnazifizierungsverfahren zudem an, dass er sich der nationalsozialistischen Personalpolitik widersetzt und fünf oder sechs Beamte in Schlüsselpositionen geschützt habe. Des Weiteren behauptete Schulte nach 1945, dass er im Zuge des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« im April 1933 die Entlassung von unliebsamen Angestellten, Beamten und Arbeitern verhindert habe. Schultes Wirken in diesen Personalangelegenheiten kann als Form der persönlichen Unterstützung langjähriger Weggefährten, nicht als Form der Opposition oder gar des Widerstandes gegen die NS-Politik betrachtet werden. Die Spruchkammer stufte Schulte am 22. Marz 1948 schließlich in die Gruppe 4 (»Mitläufer«) ein. Als »Sühneleistung« musste er 1.000 RM bezahlen.

Schulte lebte nach dem Krieg als Pensionär in Wiesbaden. Die Stadt Wiesbaden zeichnete ihn mit ihrer Goldenen Ehrenplakette aus und nach seinem Tod erhielt er ein Ehrengrab, das mittlerweile aufgehoben, aber nicht aberkannt wurde.

Die auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung 2020 berufene Historische Fachkommission zur Überprüfung nach Personen benannter Verkehrsflächen, Gebäude und Einrichtungen der Landeshauptstadt Wiesbaden empfahl die Umbenennung der Alfred-Schulte-Hütte wegen Schultes Mitgliedschaft in verschiedenen nationalsozialistischen Organisationen (NSDAP, Förderndes Mitglied der SS, RDB, NSV, RKB, NS-Rechtswahrerbund, NS-Altherrenbund und NS-Bund Deutscher Technik) bzw. nationalsozialistisch gleichgeschalteten Organisationen (Volksbund für das Deutschtum im Ausland). Als Wiesbadener Oberbürgermeister war er Amtsträger innerhalb des NS-Staates und trat damit aktiv für den nationalsozialistischen Staat ein. Durch seine Reden in der Wiesbadener Stadtverordneten- und Ratsherrenversammlung artikulierte Schulte öffentlich die nationalsozialistische Ideologie.

[Der vorliegende Text wurde von Dr. Rolf Faber für die 2017 gedruckte Version des Stadtlexikons Wiesbaden erstellt und 2024 von Dr. Katherine Lukat überarbeitet und ergänzt.]

Literatur