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Hessisches Staatstheater Wiesbaden

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Nach dem Übergang des Herzogtums Nassau an Preußen wurde insbesondere durch Kaiser Wilhelm II. der Ruf nach einem größeren und prachtvolleren Theaterbau immer lauter. Der neue Bau sollte auf dem Gelände zwischen der südlichen Kolonnade und dem Warmen Damm realisiert werden. Mitten in die Bauvorbereitungen platzte im Mai 1892 die Mitteilung des Ministers des königlichen Hauses in Berlin, die Verwaltung der Hoftheater in Kassel, Hannover und Wiesbaden werde aufgegeben und in städtische Hände gelegt. Für Wiesbaden bedeutete dies die Reduzierung des bisherigen jährlichen Zuschusses von 240.000 auf 25.000 Mark, die Miete für die Kaiserloge. Dennoch beschlossen die städtischen Gremien, das Theater nach den Plänen der Architekten Fellner & Helmer zu bauen, die sich auf den Bau von Theatern spezialisiert hatten.  In nur zwei Jahren wurde das neue Königliche Hoftheater, ein Bau des späten Historismus in Renaissance- und Barockformen, fertig gestellt und am 16.10.1894 im Beisein des Kaisers eröffnet.

Die Zeitgenossen würdigten die Rücksichtnahme auf und die geschickte Einbindung in das klassizistisch geprägte Ambiente. Diese gelang, indem Fellner & Helmer zum Bowling Green hin eine relativ bescheidene Fassade für den Haupteingang schufen und stattdessen die Rückfassade zum Warmen Damm als prachtvolle Schaufassade gestalteten. Des Weiteren wurden ausdrücklich der reiche architektonische Schmuck und die exakte Einhaltung der feuerpolizeilichen Vorschriften aus dem Jahr 1889 gelobt. So erlauben die auf den Altan an der Westseite führenden Fenstertüren im Umgang des Parketts und die Ausstattung mit zwei Treppenhäusern und einer Vielzahl von Türen ein rasches Entleeren des Hauses im Falle eines Brandes. Der eiserne Vorhang zwischen Bühnenhaus und Zuschauerraum verhinderte 1923, dass ein das Bühnenhaus zerstörender Brand auch auf den Zuschauerraum übergriff.

1902 wurde das Theater nach Plänen des Stadtbaumeisters Felix Genzmer erweitert. Im Winkel zwischen der Theaterkolonnade und der Ostseite des Zuschauerraums errichtete er außer einem Malersaal und einer Übungsbühne auch das prächtige Foyer in den Formen des Neobarocks. Im opulent und vorwiegend im Stil des Rokoko ausgestatteten Innenraum blieb das von Kaspar Kögler geschaffene Deckengemälde im Original erhalten. Heute ist das Foyer umschlossen von dem Erweiterungsbau der 1970er-Jahre.

In der Bombennacht vom 02.02./03.02.1945 sowie durch Artilleriebeschuss im März 1945 wurden die Kolonnade, der Eingangsbereich sowie Vestibül und Zuschauerraum des Theaters schwer beschädigt. Auch die beiden Deckengemälde Köglers im Zuschauerraum, die Darstellungen der »Entfesselten, aufschwebenden Fantasie« über der Bühnenöffnung und einer »Allegorie auf die Stadt Wiesbaden« über der Mitte des Raumes, wurden zerstört. 1977/78 wurden sie von dem Würzburger Maler Wolfgang Lenz (1925–2014) nach alten Vorlagen neu geschaffen. Ebenfalls von Lenz stammt die fantasievolle Bemalung des neuen eisernen Vorhangs.

1974–78 erhielt das Theater einen dringend benötigten Erweiterungsbau, in dem unter anderem eine Probebühne, die Verwaltung, Magazine und Werkstätten untergebracht sind. Der Anbau wurde nach Plänen von Hardt-Waltherr Hämer errichtet und ist in Material (Beton, Glas, Blei) und trotz der auf den Altbau Rücksicht nehmenden Gestaltung dennoch den 1970er-Jahren verpflichtet. Im selben Zeitraum wurden auch die Fassaden des Altbaus generalsaniert und die hist. Innenräume aufwendig restauriert.

Der erste Intendant des neu erbauten Königlichen Theaters, Georg von Hülsen, zog mit den 1896 erstmals stattfindenden Kaiserfestspielen, erstklassigen Sängern und prächtigen Ausstattungen ein internationales Publikum nach Wiesbaden. Von seinen Inszenierungen war besonders Carl Maria von Webers Oper »Oberon« bis 1923 beim Publikum beliebt. 1903 wurde Kurt von Mutzenbecher Intendant.

Nach der Revolution im November 1918 bildete sich ein Künstlerrat, der Ernst Legal zum Leiter des »Nassauischen Landestheaters« wählte. 1920 übernahm Preußen das Haus als »Staatstheater«. Intendant Carl Hagemann führte moderne Bühnenpraxis ein und erweiterte das Repertoire. Am 18.03.1923 brach im Theater ein Brand aus, dem das Bühnenhaus und Dekorationen, besonders für den »Oberon«, zum Opfer fielen. Schon am 20.12.1923 fand die Wiedereröffnung mit Richard Wagners »Lohengrin« statt. 1927 wurde Paul Bekker Intendant, der Opern-Uraufführungen von Ferruccio Busoni und Darius Milhaud nach Wiesbaden holte und die Maifestspiele mit künstlerischer Zielsetzung wiederbelebte. Antisemitische Anfeindungen erschwerten seine Tätigkeit. Als 1932 die Stadt das Haus als »Nassauisches Landestheater« übernahm, wurde Bekkers Vertrag nicht verlängert.

1935 wurde das Theater als »Deutsches Theater« gleichgeschaltet, am 01.09.1944 wie alle deutschen Bühnen geschlossen und beim Bombenangriff am 02.02.1945 schwer beschädigt. Die amerikanische Besatzung beschlagnahmte es für die Truppenbetreuung. Die »Notgemeinschaft der Mitglieder des Deutschen Theaters« nahm bereits am 02.08.1945 den Spielbetrieb wieder auf; gespielt wurde im katholischen Gesellenhaus, dem Kolpinghaus, in der Dotzheimer Straße. Am 01.09.1946 gründeten Wiesbaden und das Land Hessen das »Großhessische Staatstheater«. Intendant wurde Otto Henning, Schauspieldirektor Karl Heinz Stroux. Als Ausweichbühne dienten das Kolpinghaus und das Walhalla Theater. Die Wiedereröffnung des Großen Hauses mit Verdis »Aida« fand am 17.09.1947 statt.

1949 wurde Heinrich Köhler-Helffrich Intendant, der zeitgenössische Opern und Schauspiele ins Programm aufnahm und 1950 die Internationalen Maifestspiele begründete. Am 28.12.1950 wurde das neue Kleine Haus eröffnet. Später kam das Studio für Stücke in kleiner Besetzung oder Experimente als dritte Bühne hinzu. Das Hessische Staatstheater Wiesbaden wurde zum Drei-Sparten-Haus mit Oper, Ballett und Schauspiel. Unter den Intendanten Friedrich Schramm, Claus Helmut Drese und Alfred Erich Sistig gab es einzelne Aufführungen, die an die vorwärtsweisenden Impulse in der Zeit der Weimarer Republik anknüpften. So bewirkten »Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats« von Peter Weiss (1964) und Schillers »Wilhelm Tell« (1965) in Inszenierungen des Schauspieldirektors Hansgünther Heyme heftige Auseinandersetzungen und überregionales Interesse.

Nachdem 1975 mit dem Erweiterungsbau und der Generalsanierung des Theaters begonnen worden war und in Ausweichspielstätten gespielt werden musste, versuchte die Leitung des Hauses mit dem Intendanten Peter Ebert und dem Schauspieldirektor Horst Siede eine radikale Erneuerung im Geist von 1968. Mit der Musiktheaterbühne im Walhalla war man näher als im Kurbezirk an das potenzielle Publikum herangerückt. Die Gewinnung neuer Publikumsschichten war ein erklärtes Ziel, das für das Schauspiel im »Theater im Park« erreicht wurde. Das traditionelle Publikum blieb dagegen teilweise fern. Ebert wurden politische Indoktrination und schlechtes Management vorgeworfen. 1977 trat er zurück. Am 13.05.1978 wurde das Große Haus mit Wagners »Die Meistersinger von Nürnberg« wieder eröffnet.

Unter dem Intendanten Christoph Groszer kam es zu umstrittenen Inszenierungen, Schauspieldirektor Alois Michael Heigl setzte den gesellschaftskritischen Ansatz weniger spektakulär fort. Die Operninszenierungen Groszers waren jedoch konventionell. Claus Leininger setzte als Intendant 1986–94 behutsam neue Akzente, unter anderem durch die musik-theater-werkstatt unter Carla Henius und das Jugend-Club-Theater. Achim Thorwald, Intendant 1996–2002, führte das »Junge Staatstheater« als vierte Sparte ein.

2002–14 leitete Manfred Beilharz das Hessische Staatstheater Wiesbaden. Er übernahm als vierte Spielstätte die Wartburg. Seine in Bonn begründete Theaterbiennale »Neue Stücke aus Europa« setzte er in Wiesbaden fort. Ferner begründete er das Jugendreferat des Hessischen Staatstheaters (Theaterwerkstatt) unter Leitung von Priska Janssens, das für seine theaterpädagogische Arbeit 2014 den Kulturpreis der Landeshauptstadt Wiesbaden erhielt.

Seit der Spielzeit 2014/15 ist Uwe Eric Laufenberg Intendant des Hauses. Mit der Spielzeit 2014/15 wurde das »Hessische Staatsballett Darmstadt/Wiesbaden« gegründet.

Literatur

Jung, Wolfgang: »Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben. Bewahret sie!« Wiesbadener Theatergeschichte zwischen Bildungsaufgabe und gesellschaftlicher Repräsentation. In: Bildung für alle [S. 92–129].

Kaiser, Roswitha: Zeit – Raum – Denkmal. Der Erweiterungsbau des Staatstheaters Wiesbaden aus dem Jahr 1978 von Hardt-Waltherr Hämer. In: Der Denkmalpfleger als Vermittler. Gerd Weiß zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2014, (Arbeitshefte des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen 25) [S. 189–196].

Kiesow, Gottfried: Die Erweiterung und Restaurierung des Staatstheaters Wiesbaden. In: Deutsche Kunst und Denkmalpflege, 46. Jg., 1988, H. 1 [S. 56–66].

Schwitzgebel, Helmut: Freudig begrüßen wir die edle Halle. 100 Jahre Wiesbadener Theater am Warmen Damm 1894–1994, Wiesbaden 1994.

Verweis

Hessisches Staatstheater Wiesbaden, 1962 wiesbaden.de/ Stadtarchiv Wiesbaden, F001-564, Urheber: Joachim B. Weber
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