Sprungmarken

Richtstätten

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Inhaber der Gerichtshoheit in Wiesbaden waren seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert die Grafen zu Nassau; wo in dieser Zeit Todesurteile vollstreckt wurden, ist allerdings nicht bekannt. Im 15. Jahrhundert befand sich die Richtstätte »auf dem Salz«, d. h. an der heutigen Mainzer Straße, etwa im Bereich des späteren Schlachthofes. 1524 wird diese als der »alte Galgen« bezeichnet; seit 1562 lag die Richtstätte am Leberberg.

Hier wurden die zum Tode Verurteilten durch das Schwert oder den Strick zu Tode befördert. Zu den besonders grausamen Hinrichtungsarten gehörte auch das Rad. Das Pfählen, das oft über Kindsmörderinnen verhängt wurde, wurde meist erst nach der Hinrichtung vollzogen. Es gab auch die Strafe des Landesverweises, die oft mit öffentlichem Stäupen und Brandmarken verbunden war. Die Delinquenten warteten im Gefängnis auf ihre Strafe; auf der Niederpforte wurde 1510 ein neues Gefängnis mitsamt einer Folterkammer eingerichtet. Es gab zahlreiche Ehren- und Leibesstrafen, die, insbesondere in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, rigoros angewendet wurden, z. B. die Prügelstrafe, die auf den Stufen des Rathauses vollzogen wurde. Zu den Ehrenstrafen zählten der Maulkorb und das Stehen in der Breche oder am Pranger. Der zur Brechenstrafe Verurteilte wurde in den Stock am Stadtbrunnen/Marktbrunnen gekettet, wo er eine halbe oder eine ganze Stunde ausharren musste. Sowohl diese Strafe, als auch der Maulkorb wurden vorrangig an Frauen vollzogen. Beim Maulkorbtragen führte der Bettelvogt die Delinquentin durch alle Straßen der Stadt, oder die zum Maulkorb Verurteilte musste vor dem Rathaus stehen. Am wenigsten ehrenrührig war die Strafe des Stehens im Halseisen. Das Eisen war zunächst an einem Haus am Marktplatz angebracht, nach dem Rathausneubau befand es sich rechts neben dem Haupteingang.

Wie ein Rechtstag ablief, ist aus dem Jahr 1718 überliefert. Auf dem Marktplatz gegenüber dem Rathaus vor dem Haus Zum Ochsen, einem ehemaligen Burgmannenhaus, war das sogenannte Blutgericht aufgebaut. Es bestand aus einer langen, mit rotem Tuch gedeckten Tafel, an der der Oberschultheiß und die Schöffen, flankiert von der Miliz, Platz nahmen. Es folgten die Reden von Ankläger und Verteidiger in formelhaften Wendungen, der Blutrichter bzw. Oberschultheiß zeigte das bereits verfertigte Urteil den Schöffen, der Aktuar verlas es, der Stab wurde zerbrochen und der Angeklagte dem Scharfrichter übergeben. Miliz und Landbereiter begleiteten den Verurteilten zur Richtstätte. Die Besitzer des Hofes der Adligen von Wiesbaden mussten dem Verurteilten zum Richtplatz folgen und ihn im Falle einer Ohnmacht fahren. Der Tiefenthaler Hof hatte die Galgenleiter zur Richtstätte zu bringen, die Schultheißen der Stadt und der Dörfer mit Ausnahme Kloppenheims mussten die Leiter aufrichten. Der Henker wurde von Fall zu Fall meistens aus Mainz zugezogen.

Seit 1767 tagte das Peinliche Gericht nicht mehr öffentlich, sondern im Hof des Schlosses. Der Galgen wurde 1816 abgeschafft. Die letzte öffentliche Hinrichtung in Wiesbaden wurde am 08.10.1835 vollzogen. Der Richtplatz befand sich damals vor den Toren der Stadt auf dem Exerzierplatz an der Chaussee nach Langenschwalbach (heute: Bad Schwalbach) in der Nähe des ehemaligen Klosters Klarenthal. Der Schuhmacher Kaspar Reitz war am 26.09.1834 vom Hof- und Appellationsgericht in Usingen wegen Mordes zum Tode durch das Schwert verurteilt worden. Die letzte Hinrichtung überhaupt fand am 04.04.1887 im Hof des Landgerichtsgefängnisses statt. Scharfrichter Krauts aus Berlin richtete die Mörder Heinrich Andel und Josef Mallmann mit einem Handbeil.

Literatur

Bleymehl-Eiler, Martina: Stadt und frühneuzeitlicher Fürstenstaat: Wiesbadens Weg von der Amtsstadt zur Hauptstadt des Fürstentums Nassau-Usingen (Mitte des 16. bis Ende des 18. Jahrhunderts), 2 Bde., ungedr. Diss., Mainz 1998.

Wesel, Uwe: Geschichte des Rechts. Von den Frühformen bis zum Vertrag von Maastricht, München 1997.