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Schiffchen

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Das Schiffchen ist eine volkstümliche Bezeichnung für einen Häuserkomplex von rund 165 m Länge und einer Breite von etwa 30 m, der von der Wagemann-, der Grabenstraße, der Goldgasse und der Marktstraße begrenzt wird und die von Handwerkern und Händlern besiedelte Vorstadt außerhalb des oberen Stadttores war. Die 1913 nach dem Stadtältesten Jean Baptiste Wagemann benannte Wagemannstraße ist eine der ältesten Straßen der Stadt; im Mittelalter hieß sie nach dem östlich angrenzenden Stadtgraben »auf dem Graben«, später Judengasse, um die Mitte des 17. Jahrhunderts Krämer- und Metzgergasse.

Das älteste noch bestehende Haus im Schiffchen ist das der Familie Cetto in der Wagemannstraße 7 aus dem Jahr 1728 (Cetto-Haus). Die meisten heute noch existierenden Häuser entstanden zwischen 1820 und 1910. Bis etwa 1800 lebten dort einige jüdische Familien, auch von einer Synagoge oder Judenschule wird berichtet. Bis 1884 befand sich hier das Wiesbadener Schlachthaus. Daneben bedienten sich die im Schiffchen ansässigen Bäcker des Brunnens, um mit dem salzhaltigen Thermalwasser ihren Sauerteig anzusetzen. Auch existierten einige Mühlen, die durch das Wasser des bis ins 19. Jahrhundert offen fließenden Dendelbachs angetrieben wurden. Seit den 1870er-Jahren war die Metzgergasse immer wieder ein Schauplatz tätlicher Auseinandersetzungen, z. B. des Wiesbadener Brotkrawalls vom 28./29.04.1873.

Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert kam das Schiffchen, in dem jetzt zahlreiche Gaststätten, Weinhäuser und andere Lokale ansässig waren, immer weiter herunter. In den 1950er-Jahren war der Name Schiffchen und speziell die Wagemannstraße gleichbedeutend mit dem Rotlichtviertel Wiesbadens. Lokale wie die »Rote Katze« oder das Nachtlokal »Oase« prägten das Bild.

Um 1975 begann die Sanierung des Schiffchens. Speziell die Grabenstraße hat durch den Neubau des Plenarsaalgebäudes des Hessischen Landtags sehr gewonnen.

Literatur

Steffens, Horst: Der Wiesbadener Brotkrawall von 1873. In: Nassauische Annalen. Hrsg.: Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung (Bd. 100), 1989 [S. 175–196].