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Gedenkorte für die Opfer des NS-Regimes

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1953 entstand zunächst am Standort der einstigen Synagoge am Michelsberg eine kleine Gedenkstätte mit einer Stele des Wiesbadener Künstlers Egon Altdorf. Diese trägt die Inschrift »Der Welt Gewissen ist die Liebe«. Das später um mehrere Gedenktafeln ergänzte und in Heinrich-Heine-Anlage umbenannte Areal wurde im Zuge der Schaffung der heutigen Gedenkstätte für die ermordeten Wiesbadener Juden partiell überbaut. Dieses am 27.01.2011 der Öffentlichkeit übergebene Bauwerk markiert die gesamte Fläche des früheren Synagogengeländes. Durch die Straßenführung wird es in zwei miteinander korrespondierende Bereiche unterteilt. Auf einem in Augenhöhe umlaufenden und nach Einbruch der Dunkelheit illuminierten Namenband werden die wichtigsten Daten der bislang ermittelten über 1.500 vordem in dieser Stadt beheimateten Menschen jüdischer Herkunft präsentiert, die dem NS-Rassenwahn zum Opfer gefallen sind.

In der Bernhard-Schwarz-Straße 17 in Schierstein erinnert seit 1968 eine Gedenkstätte des Wiesbadener Künstlers und Kunstpädagogen Prof. Dr. Wolf Spemann an die dortige, 1938 von den NS-Rassisten überfallene, geschändete und in Brand gesetzte Synagoge. Eine Steinrosette und Reste von deren einstiger Umfassungsmauer wurden in jene Gedenkanlage integriert. Eine Säule aus der Eingangshalle der Michelsbergsynagoge wurde als deren einziges Relikt im Hof der 1966 neu errichteten Synagoge in der Friedrichstraße 33 platziert, wo seit 1970 außerdem ein Bronzerelief Wolf Spemanns mit dem Diktum des Propheten Jeremia »Tag und Nacht beweine ich die Erschlagenen meines Volkes« angebracht ist. Am Standort der ehemaligen Synagoge in Biebrich rufen eine Gedenktafel und eine vom Wiesbadener Künstler Karl-Martin Hartmann geschaffene, mehrsprachige »Stele für Toleranz« das jüdische Verfolgungsschicksal in Erinnerung. Auch in der Poststraße 7 in Bierstadt erinnert seit 1980 eine Gedenktafel an die einstmals dort befindliche Synagoge.

Im Foyer des Rathauses wurde 2002 ein Raum eröffnet, in dem vielfältige Informationen zum jüdischen Verfolgungsschicksal bereitgehalten werden. 1992 wurde vor dem Haus Alexandrastraße 8 eine Gedenktafel mit den Namen der 16 deportierten und ums Leben gebrachten bzw. in den Selbstmord getriebenen Bewohnerinnen und Bewohner jenes früheren »Judenhauses« angebracht. 1994 gestaltete der Künstler Marc van den Broek in Nordenstadt ein Mahnmal mit 14 rechteckigen Stahlstelen, die kleine Messingtafeln mit den Namen der Jüdinnen und Juden tragen, welche am 10.06. sowie am 28.08.1942 in die Völkermordlager deportiert worden sind. Gedenktafeln erinnern an den Juristen und Schriftsteller Dr. Sally Großhut, an acht vom NS-Regime ermordete jüdische Bürgerinnen und Bürger in Dotzheim, an den Ausschluss jüdischer Mitglieder der Turn- und Sportgemeinde 1861 Sonnenberg, an drei kurz vor Kriegsende in Kloppenheim ermordete sowjetische Zwangsarbeiter. Auf dem Südfriedhof befindet sich ein in den 1960er-Jahren wohl vom Schlachthofgelände dorthin umplatzierter Gedenkstein der Fleischerinnung Wiesbaden für deren während des Ersten Weltkrieges gefallene Mitglieder bzw. für ihre Söhne, auf dem eine Zusatztafel an sieben namentlich aufgeführte Kollegen erinnert, welche im Konzentrationslager den NS-Rassisten zum Opfer gefallen sind (Abteil C 1, Westrand). Auf dem Bierstadter Judenfriedhof gemahnt eine abgestumpfte Pyramide mit zwölf eingemeißelten Opfernamen an die dortigen deportierten Gemeindemitglieder sowie an diejenigen aus Igstadt.

Seit 2006 wurden sukzessive Informationsstelen an mehreren authentischen Orten der Verfolgung errichtet, so vor der Außenmauer des früheren Gerichtsgefängnisses in der Albrechtstraße 29, sodann gegenüber der Paulinenstraße 9, wo sich seinerzeit eine Außendienststelle der Frankfurter Gestapo befunden hat, sowie am Geschwister-Stock-Platz, dort zur Erinnerung v. a. an die während des »Dritten Reiches« verfolgten und ermordeten jüdischen Kinder. Seit 2010 klärt das vom Frankfurter Multimediakünstler Vollrad Kutscher sowie vom Wiesbadener Sprühkünstler York Hauff realisierte Deportationsmahnmal Schlachthoframpe über das schreckliche Geschehen auf, das sich einst an jenem Ort östlich der Gleisanlagen des Hauptbahnhofs ereignet hat. Ende 1997 wurde am Gebäude Luisenplatz 5, der früheren Alten Münze, eine von der damaligen Darmstädter Bildhauerin Anne Haring gestaltete Hinweistafel für die vom Frühjahr bis zum Sommer 1933 dort befindliche Haft- und Folterstätte der SA enthüllt.

Das Andenken zahlreicher Wiesbadener NS-Gegner wird durch Gedenktafeln im öffentlichen Raum bzw. durch ähnliche Formen der Erinnerung bewahrt. Das Schicksal auswärtiger Widerständler erläutern entsprechende Tafeln im Bereich einiger nach diesen benannten Schulen, so in der Wilhelm-Leuschner- und an der Carlo-Mierendorff-Schule, beide in Mainz-Kostheim, und der Alfred-Delp-Schule in Wiesbaden-Frauenstein. Für Pastor D. Martin Niemöller wurde an der Außenmauer seiner langjährigen Wohnstätte in der Brentanostraße 3 eine Hinweistafel angebracht. Im Hessischen Landtag erinnert eine Büste an Wilhelm Leuschner, den Namensgeber der höchsten Verdienstauszeichnung dieses Bundeslandes. Sein Porträt gehört zudem wie das von Generaloberst a. D. Ludwig Beck zu denen der 50 hessischen Persönlichkeiten der Installation »Himmel über Hessen. Licht-gestalten«, welche Vollrad Kutscher für das 2008 eingeweihte neue Plenargebäude geschaffen hat. 1991 wurde die KZ-Gedenkstätte »Unter den Eichen« im Carl-von-Ibell-Weg eröffnet. Eine Dauerausstellung thematisiert die Stadt als wichtigen Standort im NS-Herrschaftssystem, den antinazistischen Widerstand sowie die Haftbedingungen der dort inhaftierten zumeist luxemburgischen NS-Gegner. Gegenüber der Bahnhofstraße 63 wurde 1992 ein von Adam Strauß vom Verband Deutscher Sinti und Roma – Landesverband Hessen initiiertes und von den Künstlern Eugen Reinhardt und Josef Rainhar von der Sinti-Werkstatt in Albersweiler in der Pfalz geschaffenes großes Mahnmal der Öffentlichkeit übergeben.

Auf dem Südfriedhof befinden sich ein Ehrenfeld u. a. für Zwangsarbeitskräfte und politisch Verfolgte der NS-Gewaltherrschaft (Abteil C 1) und ein ebensolches mit einem Gedenkensemble für 171 namentlich aufgeführte Opfer aus »Euthanasie«-Anstalten und aus Konzentrationslagern (Abteil U 11). Auch vor den Treppenstufen zum Haupteingang des früheren Landeshauses wurde ein Gedenkstein für die Opfer jener menschenverachtenden Ideologie errichtet. Außerdem sind rund 40 Straßen und Plätze sowie nicht ganz halb so viele weitere Schulen sowie andere Gebäude und Einrichtungen nach Verfolgten des NS-Regimes bzw. nach Aktivisten des antinazistischen Widerstandes benannt. Vielfach sind auch dort entsprechende Gedenktafeln angebracht. Von 2005 bis zum Sommer 2016 wurden im Innenstadtbereich sowie in den Vororten über 650 »Stolpersteine« mit den Namen und Lebens-, Deportations- bzw. Ermordungsdaten von zumeist jüdischen NS-Opfern verlegt.

Literatur

Gerber, Manfred (Red.): Gedenkstätte für die ermordeten Wiesbadener Juden. SEG Stadtentwicklungsgesellschaft Wiesbaden (Hrsg.), Wiesbaden 2011.

Maul, Bärbel/Ulrich, Axel: Das Wiesbadener Außenkommando »Unter den Eichen« des SS-Sonderlagers/KZ Hinzert. Hrsg.: Landeshauptstadt Wiesbaden – Kulturamt/Stadtarchiv, Wiesbaden 2014.

»Hier wohnte …«. Ein Kunstprojekt von Gunter Demnig. Stolpersteine in Wiesbaden, 3 Bde.: 2005–2008, 2009–2010, 2011–2013. Hrsg.: Aktives Museum Spiegelgasse für deutsch-jüdische Geschichte in Wiesbaden; BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Rathausfraktion Wiesbaden, Wiesbaden 2009–2013.

Ulrich, Axel/Streich, Brigitte (Red.): Gedenkort Schlachthoframpe. Hrsg.: Landeshauptstadt Wiesbaden – Kulturamt/Stadtarchiv, Wiesbaden 2009.

Gedenkstätte an der zerstörten Synagoge in Schierstein, ca. 1970 wiesbaden.de/ Stadtarchiv Wiesbaden, F000-497, Urheber: Joachim B. Weber
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