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Ausstellung "Die Kinder der Kommunisten" von Daniela Ortiz

Die Ausstellung "Die Kinder der Kommunisten" mit Werken der Follow Fluxus-Stipendiatin 2022 Daniela Ortiz ist bis zum 26. Mai 2024 im Nassauischen Kunstverein zu sehen.

Daniela Ortiz, fünfzehnte Stipendiatin des von der Landeshauptstadt Wiesbaden und dem Nassauischen Kunstverein Wiesbaden vergebenen Stipendiums "Follow Fluxus – Fluxus und die Folgen", fokussiert auf eine wenig bekannte Seite der revolutionären Geschichte des 20. Jahrhunderts: die aus marxistischen Kontexten organisierten Initiativen und Schutznetze zur Unterstützung von Kindern.

Bereits seit einigen Jahren setzt sich Daniela Ortiz vermehrt mit dem Thema der Kindheit auseinander, angefangen mit einer Kritik an den diskriminierenden symbolischen Systemen des künstlerischen Erbes. Mit Die Kinder der Kommunisten (2023) fokussiert Daniela Ortiz auf eine wenig bekannte Seite der revolutionären Geschichte des 20. Jahrhunderts, Kinderfürsorge und Kinderschutz, organisiert durch marxistische Initiativen. Es sind Geschichten, die sich zwar vom Kontext und Umfang unterscheiden, aber immer einen gemeinsamen Nenner haben, die Verteidigung und der Schutz von Kindern im Namen der internationalistischen Solidarität. So erzählen sie von der Rettung der Kinder von militanten Aktivistinnen und Aktivisten, der Suche nach vermissten Enkeln sowie der Aufnahme von Flüchtlingen, die vor Bürgerkrieg oder nuklearer Katastrophe fliehen.

Das deutsche Wort "Geschichte" hat ebenso wie das spanische Wort historia eine doppelte Bedeutung, die im lateinischen Sprachraum in res gestae (das, was geschehen ist, das Ereignis) und historia rerum gestarum (die Erzählung eines Ereignisses) aufgeteilt wurde. Indem Daniela Ortiz diese lexikalische Zweideutigkeit erforscht, dekonstruiert Ortiz koloniale und rassifizierte historische Erzählungen. Die Reflexion über die Beziehung zwischen Geschichte und Erinnerung findet bei ihr nicht nur auf symbolischer Ebene statt: Der kreative Prozess wird wiederbelebt und in ihren direkten Aktionen aktiviert.

Die Kinder der Kommunisten

In ihren künstlerischen Arbeiten verwendet Daniela Ortiz unterschiedlichste häufig folkloristisch anmutende Medien und populäre Artefakte. Für "Die Kinder der Kommunisten" nutzt sie ein Spielzeug, ein kulturelles Objekt mit transnationalen Ursprüngen und gleichzeitig einem der Schlüsselsymbole des Heimatlandes des authentischen Sozialismus: die Matrjoschka.

Die berühmte Holzpuppe, die eine weibliche Figur in traditioneller Kleidung darstellt, ist trotz ihrer bewusst tradierten Ikonografie eine Erbin der älteren japanischen Kokeshi Puppe. Die Matrjoschka wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts im Rahmen der "Erziehungswerkstätten für Kinder", die im russischen Abramzewo mit dem Ziel gegründet wurden, die Volkskunst zu fördern, entwickelt. 1900 wurde die Matrjoschka-Puppe auf der Weltausstellung in Paris ausgestellt und wurde bald zu einem der ikonischsten Elemente der russischen Folklore. 

Im Zentrum: Schutz von Kindern kommunistischer Kämpfer

Indem Daniela Ortiz kulturelle Ebenen und Quellen unterschiedlicher Herkunft vermischt und variiert verdeutlicht sie in ihrer die künstlerische Aktion ihre Reflexion über das Artefakt als Produkt eines bestimmten politischen und wirtschaftlichen Systems selbst: ein Détournement, welches eine Bedeutungsverschiebung auslöst und die ursprüngliche Perspektive verändert.

Sie nimmt die genealogische Struktur der Puppe auf, aber überführt ihre Matrjoschka in Konnotationen einer durch Bilder erzählten Geschichte, deren Episoden eine Sequenz bilden, die, während sie sich allmählich enträtseln, Charaktere und Ereignisse Schritt für Schritt veranschaulicht. Die Matrjoschkas von Daniela Ortiz zeigen, wie sich hinter einer Geschichte, die scheinbar mit einer einzigen Figur, einem einzigen Protagonisten verbunden ist, in Wirklichkeit ein komplexes Ereignis von kollektiver politischer Relevanz verbirgt, bei dem der Prozess der ikonografischen Konstruktion die handwerkliche Dimension der Forschung und der historischen Erzählung hervorruft.

Im Mittelpunkt der symbolischen Enthüllung stehen Geschichten von realen und oft schmerzhaften Begebenheiten. Daniela Ortiz offenbart in ihren Analysen die Bedeutung politischer Organisationen für den Schutz und die Versorgung von Kindern kommunistischer Kämpfer. Dabei wird die Rolle der Regierungen, Komitees und Interessengruppen von ihr als eine Form des antifaschistischen Widerstands gegen die geplante Vernichtung von Frauen, Männern und Ideen verstanden. Ein Blick, heute mehr noch als damals, zum Nachdenken über den Wert des Opfers der jungen Revolutionäre.

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