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Literacy-Angebote für Kinder

In der Bildungsdiskussion taucht immer häufiger der Begriff "Literacy" auf. Er kommt aus dem Englischen und weil er keine richtige Entsprechung im Deutschen hat, hat er sich in der englischen Form etabliert.

Was ist Literacy?

Man versteht darunter Lese- und Schreibkompetenz – aber eben nicht nur das. Der Begriff umfasst darüber hinaus das Text- und Sinnverständnis, sprachliche Abstraktionsfähigkeit, Vertrautheit im Umgang mit Schriftsprache in allen ihren Facetten, auch der literarischen, Vertrautheit im Umgang mit Büchern, Lesefreude und sogar den kompetenten Umgang mit anderen Medien, vor allem dem Internet.

In der frühen Kindheit steht Literacy als Sammelbegriff für kindliche Erfahrungen rund um Buch-, Erzähl-, Reim- und Schriftkultur. Manche Kinder machen solche Erfahrungen bereits in den ersten Lebensmonaten, andere – weniger privilegierte – müssen im ungünstigsten Fall bis zur Einschulung darauf warten.

Hintergrund

Literacy ist in einer Gesellschaft, die von der Schriftkultur geprägt ist, ein wichtiger Bestandteil der kommunikativen Möglichkeiten eines Individuums. Damit ist es ein Kernelement kultureller Integration. Die UNESCO sieht Literacy als Schlüsselqualifikation für lebenslanges Lernen an, auch für den mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich. Darüber hinaus hat Literacy große Bedeutung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die soziale Chancengleichheit. Das PISA-Konsortium 2001 sieht in Literacy sogar eine ganz entscheidende Voraussetzung für eine befriedigende Lebensführung, beruflich und privat, gerade im Zeitalter des Internets.

Erklärtes Ziel der Literacy-Förderung weltweit: Möglichst viele Menschen sollen sich an der Lösung der eigenen wie der gesellschaftlichen Probleme beteiligen können. Drei Gedanken sind von besonders hoher Bedeutung im Zusammenhang mit Literacy-Förderung:

  1. die Verbreitung demokratischer Ideen und Sozialformen,
  2. die Förderung lebenslangen Lernens und
  3. die Ermöglichung gleichberechtigter Dialoge zwischen den Menschen.

Bedarf auch in Deutschland

Das gilt auch für eine hoch entwickelte Gesellschaft wie die unsere, in der zunehmend mehr Menschen im sozialen und kulturellen Abseits leben. Diese Zahlen begründen die Notwendigkeit von Literacy-Förderung auch bei uns: 20 Prozent der über 15-Jährigen in den westlichen Industrienationen sind nach OECD-Kriterien (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) als funktionale Analphabeten einzustufen. Weltweit können 781 Millionen Erwachsene nicht lesen und schreiben. Spätestens seit der PISA-Studie ist bekannt, dass Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern einen erheblichen Nachholbedarf bei der Grundbildung hat. Jedes Jahr verlassen etwa 75.000 Jugendliche die Schulen ohne Hauptschulabschluss. Viele von ihnen verfügen nicht über die erforderlichen Mindestqualifikationen, um einen Beruf zu erlernen. Ohne ausreichende Kenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen haben sie kaum eine Chance am Arbeitsmarkt.

Zum Nichtleser wird man erzogen. Darüber gibt die dritte große Lesestudie der Stiftung Lesen und des Bundesministeriums für Bildung in Deutschland nach 1992 und 2000 hinreichend Auskunft. Mittlerweile kann nur noch jeder Zweite der heute 14- bis 19-Jährigen sagen, als Kind oft mit Büchern beschenkt worden zu sein. Das waren vor acht Jahren noch 59 und vor 16 Jahren 72 Prozent. Die Pflege des Lesenachwuchses liegt hierzulande also im Argen. Selbst im Kindergarten wird laut Studie offenkundig weit weniger vorgelesen als früher.

Vorbilder sind die USA und Großbritannien

In Großbritannien und den USA, aber auch in Israel gibt es schon seit Jahren "Family-Literacy-Programme". In so genannten Early-Excellent-Centres in Großbritannien zum Beispiel lernen Eltern, die selbst wenig Übung im Schreiben und Lesen haben, zusammen mit ihren Kindern den kompetenten Umgang mit der Schriftsprache. Darüber hinaus erhalten sie zur Geburt eines Kindes ein Paket mit Büchern und werden angeleitet, ihren Kindern regelmäßig vorzulesen. In USA und Israel besuchen eigens ausgebildete Sozialarbeiter "schriftferne" Familien und unterstützen sie bei der Literacy-Entwicklung. In Deutschland gibt es in dieser Hinsicht erste ermutigende Anfänge, wie zum Beispiel das Projekt "Stadtteilmütter" in Biebrich.


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