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Kinos in Wiesbaden

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Wiesbadens erste Filmvorführung ereignete sich am 29.10.1896 – knapp ein Jahr nach der ersten öffentlichen Projektion bewegter Bilder im Berliner Varieté Wintergarten durch die Gebrüder Skladanowski. Auch in Wiesbaden gab es noch keine eigenen Häuser für den Kinematographen, dessen Premiere im Saal der Loge Plato, Friedrichstraße 27 stattfand. In den folgenden Jahren wurden Theatersäle, Gaststätten-Nebenräume und Jahrmarktbuden für das neue Medium genutzt, das zunächst nur in ambulanter Form existierte. Gezeigt wurden Zusammenstellungen aus kurzen Dokumentationen, Slapstick-Einlagen oder sogenannten Tonbildern, bei denen bekannte Gesangsarien dargeboten wurden, wobei der Ton von Schallplatten kam, die mit dem Projektor gekoppelt waren.

Neben den Wanderkinos, die zuweilen Vorstellungen vor mehreren Tausend Zuschauern in umfunktionierten Zirkuszelten gaben (so in Wiesbaden auf einer Freifläche Ecke Adolfsallee/Kaiser-Friedrich-Ring), etablierten sich ab 1907 in Deutschland zunehmend ortsfeste Lichtspielhäuser. Ein solches eröffnete im Mai 1907 in der Rheinstraße 43 (dem späteren Union-Theater). Kurz darauf folgten in der Dotzheimer Straße das Auxetophon-Tonbild-Theater sowie in der Wilhelmstraße das Biophon-Theater, das in das Hotel Monopol integriert worden war. 1911 existierten in Wiesbaden bereits fünf Kinos, darunter das Odeon-Theater (Ecke Luisenstraße/Kirchgasse) sowie das am Kureck gelegene Kinephon-Theater (das spätere Capitol). Dort lief im Herbst 1913 Max Macks Film »Der Andere« an, ein frühes Beispiel sich entfaltender europäischer Filmkunst und einer jener ersten abendfüllenden Filme, die die auf wenige Akte beschränkten, kompilierten Programme des frühen Kintopps nach und nach ablösten. Im gleichen Jahr entstand in der Kirchgasse 72 als Neubau das Thalia-Theater. Mit 500 Plätzen und elegant ausgestattet, galt es bis zum Ende des Ersten Weltkriegs als Wiesbadens größtes und komfortabelstes Kino. Eine Steigerung in dieser Hinsicht brachte 1919 die Umwandlung des Walhalla-Theaters in ein Lichtspielhaus. Es bot Platz für 1.400 Zuschauer und wurde in den folgenden Jahren das festlichste Uraufführungskino der Stadt. 1928, kurz vor Ende der Stummfilmära, wurde es mit einer Welte-Film-Orgel aufgerüstet.

In den 1920er- und 1930er-Jahren erhielt Wiesbaden weitere Leinwände: So im Dezember 1926 das Ufa im Park an der Wilhelmstraße und 1936 das Apollo in der Moritzstraße. Dessen Inhaber Erich Ewert hatte bereits 1927 in der Bleichstraße unweit des heutigen Platzes der Deutschen Einheit das Kino für jedermann eröffnet. In den späten 1930er-Jahren gab es vierzehn Kinos in Wiesbaden, am Ende des Zweiten Weltkriegs nur noch sechs. Danach stieg die Zahl sprunghaft an: 1950 waren es 22, 1955 sogar 32. Dies entsprach einem Angebot von 15.500 Plätzen. Im Krieg zerstörte Kinos wurden wieder aufgebaut – etwa der an der Schwalbacher Straße gelegene Neue Filmpalast mit seinen 1.000 Plätzen, ehemalige Theater wurden umfunktioniert (Residenz-Palast Ecke Kirchgasse/Luisenstraße mit 1.300 Plätzen) oder neue Kinos errichtet, so das Arkaden am Ring (800 Plätze).

Neben etablierten Theatern zeigten ab 1953 spezialisierte Häuser wie das Apollo die ersten 3-D-Filme, eröffnete im gleichen Jahr in der Langgasse ein Aktualitätenkino (Aki), das von 9.00 bis 24.00 Uhr Wochenschauen und Kurzfilme projizierte. Mit dem erweiterten Angebot stiegen die Besucherzahlen: Waren es 1938 rund 2 Mio., so zehn Jahre später bereits 3,2 Mio. Der Rekord mit 5,8 Mio. Zuschauern wurde 1956 erreicht. Dies entspricht einem Durchschnitt von 23 Kinobesuchen pro Jahr. Damit lag Wiesbaden (obwohl nur 150.000 Einwohner groß) an siebenter Stelle der damaligen Bundesrepublik. Mit zunehmender Verbreitung des Fernsehens Ende der 1950er-Jahre verzeichneten auch die Wiesbadener Kinos rückläufige Einnahmen. So sank die Zahl der Kinobesuche 1956–59 von knapp 5 Mio. um fast ein Drittel auf 3,4 Mio.

Die heraufziehende Kinokrise wurde auch in Wiesbaden von einem jahrzehntelangen Kinosterben begleitet, dem die meisten großen Säle zum Opfer fielen: Das frei stehende, neoklassizistische Capitol am Kureck (ehemals Kinephon-Theater), das 1908 aus einem Kunstsalon hervorgegangen war und die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs unbeschadet überstanden hatte, musste 1965 einem Bürohochhaus weichen, der Residenz-Palast einer Kaufhaus-Erweiterung, der Neue Filmpalast einem Parkhaus. Bestehende Filmtheater (wie das Thalia und das Apollo) wurden durch den Einbau kleinerer Säle unterteilt bzw. in sogenannte Kinocenter umgewandelt. Außer im Fall des Kellerkinos Bambi besitzen heute die in dritter Generation tätigen Filmtheaterbetriebe Ewert das Monopol über die kommerziellen Kinos Wiesbadens mit acht Sälen in drei Häusern (Stand: 2016).

Aufgrund einer Initiative des Deutschen Filminstituts (DIF) wurde im April 1980 – zunächst nur auf der Empore des früheren Ufa im Park – das Archivkino Caligari eröffnet und später unter dem Namen Caligari FilmBühne als kommunales Kino vom Kulturamt Wiesbadens übernommen. 2009 erhielt Wiesbaden mit dem Murnau-Filmtheater wieder ein neues (Studio-) Kino, das unter anderem Repertoire-Filme aus dem Rechtebestand der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung zeigt. Seit 1984 zeigt Filme im Schloss regelmäßig ausgewählte Filme im Schloss Biebrich.

Auch Open-Air-Kinos erfreuen sich großer Beliebtheit: In den Reisinger- und Herbert-Anlagen organisiert die Initiative Bilderwerfer seit 1998 jeden Sommer einige Wochen lang Filmvorführungen unter freiem Himmel.