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Unterwegs im ...

Unterwegs im ... Museum Reinhard Ernst

Dass ein Museum ein Werk als Schenkung erhält, kommt immer wieder vor. Dass einer Stadt ein Museum geschenkt wird, eher selten! Das Museum Reinhard Ernst (mre), das im Juni 2024 an der Wilhelmstraße 1 eröffnet wurde, ist ein echter Glücksfall für Wiesbaden - und für alle, die sich für abstrakte Kunst interessieren.

Museumsgründer Reinhard Ernst spricht im Interview über seine Leidenschaft für ungegenständliche Kunst, die Anfänge des Museums und warum er findet, dass Kunst von Kindheit an zu unserem Leben dazugehört.

Warum fiel die Wahl auf Wiesbaden als Standort für das Museum? 
Reinhard Ernst: Meine Frau ist gebürtige Wiesbadenerin und wir leben seit 25 Jahren in der Landeshauptstadt. Wir sind also hier zuhause. Was gibt es Schöneres, als die Möglichkeit, in seiner Heimatstadt ein Museum bauen zu können? Nachdem sich unsere ursprünglichen Pläne zerschlagen haben, ein Museum für abstrakte Kunst in Limburg zu errichten – dem Standort meiner beiden Unternehmen – waren wir auf der Suche nach einem neuen Standort. Wir hatten bereits früh nach einem passenden Ort in Wiesbaden Ausschau gehalten. Als in der Wilhelmstraße 1 plötzlich ein Grundstück zur Verfügung stand und per Bürgerentscheid ausgehandelt wurde, wie es bebaut werden sollte, lag es nahe, dass wir uns hier mit unserer Stiftung und dem Museumsprojekt ins Gespräch bringen.


Was ich an der abstrakten Malerei besonders schätze, ist, dass sie uns keine Vorgaben macht.

Reinhard Ernst

Welche Bedeutung hat abstrakte Kunst für Sie persönlich? 
Reinhard Ernst: Ich bin ein Farbenmensch, und ich liebe es, mich in abstrakte Kunstwerke zu vertiefen: die Farbaufträge anzusehen, Gesten und Formen zu betrachten. Was ich an der abstrakten Malerei besonders schätze, ist, dass sie uns keine Vorgaben macht. Jeder kann darin sehen und entdecken, was er oder sie möchte. Man kann sich über abstrakte Kunst wunderbar unterhalten – sie bietet immer Gesprächsstoff. Für mich ist diese Art der Kunst hochdemokratisch.


Was ihn auszeichnet, ist sein unglaublich anspruchsvolles Design, das gleichzeitig sehr zurückhaltend, geradezu schlicht wirkt.

Reinhard Ernst über Fumihiko Maki

Den Museumsbau hat der japanische Architekt Fumihiko Maki entworfen – was verbindet Sie miteinander? 
Reinhard Ernst: Wir haben Fumihiko Maki vor vielen Jahren auf einem Geburtstagsfest von gemeinsamen Freunden in Tokio kennengelernt. Wir waren uns auf Anhieb sympathisch. Nach unserer ersten Begegnung habe ich mir im Laufe der Jahre viele seiner Gebäude in Japan gemeinsam mit ihm angesehen. Was ihn auszeichnet, ist sein unglaublich anspruchsvolles Design, das gleichzeitig sehr zurückhaltend, geradezu schlicht wirkt. Die Berücksichtigung von "menschlicher Architektur" ist ein Leitgedanke von Maki. Viele Architekten setzen sich mit Ihren Bauten selbst ein Denkmal – nicht so Fumihiko Maki. Er achtet die Wünsche des Bauherrn und verzichtet darauf, seinen Status zur Schau zu stellen. Es gibt kein "MAKI-Gebäude". Hier unterscheidet er sich von anderen großen Architekten.

Reinhard Ernst zwischen zwei Kunstwerken
Reinhard Ernst

Nach dem verheerenden Tsunami, der in Japan zahllose Todesopfer forderte, habe ich Maki kontaktiert. Meine Frau und ich wollten helfen. Wir wollten mehr tun, als Geld spenden. So haben wir mit Fumihiko Maki das Haus der Hoffnung in Natori gebaut, einem von dem Seebeben sehr stark betroffenen Ort. Ein Bezirk, in dem viele Fischer wohnten, ist einfach weggespült worden. Viele Kinder und Großeltern waren plötzlich alleine. Das Haus der Hoffnung ist eine Begegnungsstätte für Kinder und ältere Menschen. Maki war sofort bereit, dieses Vorhaben ohne jedes Honorar umzusetzen, das war unsere erste Zusammenarbeit, eine, die uns fortan eng verbunden hat.

Zurück nach Wiesbaden: Welche Art von Gebäude schwebte Ihnen hier vor?   
Reinhard Ernst: Die Planungszeit für unser Museum nahm circa drei Jahre in Anspruch. Es gab seitens der Stadt eine Reihe von Vorgaben, die wir berücksichtigt haben, und die letztlich von unserem Architekten als selbstverständlich erachtet wurden. Die Adresse Wilhelmstraße 1 ist der Startpunkt der historischen Magistrale in die Innenstadt. Das Museum sollte die Ecke beleben und es sollte an der gleichen Stelle errichtet werden, wo das im Krieg zerstörte Grand Hotel Victoria stand. Mein Wunsch war ein moderner, eigenständiger Baukörper, der sich gut in die innerstädtische, historische Bebauung einfügen sollte. Das ist Maki wunderbar gelungen.


Abstrakte Kunstwerke geben uns Rätsel auf. Wir müssen sie nicht lösen.

Reinhard Ernst

Wie kann man sich auf einen Besuch im mre vorbereiten? 
Reinhard Ernst: Man sollte bereit sein, sich auf ein Kunsterlebnis einzustellen, das nicht alltäglich ist. Und man sollte versuchen, sich von dem Gedanken zu lösen, ein Werk lesen oder gar verstehen zu können. Abstrakte Kunstwerke geben uns Rätsel auf. Wir müssen sie nicht lösen. Manche Werke sprechen uns sofort an – wecken Assoziationen. Mich berühren die teilweise unglaublichen Farbverläufe und oft das Nebeneinander der Farben. Die außergewöhnlichen Farbkombinationen von Helen Frankenthaler oder die wirbelnde Dynamik eines K.O. Götz. Die Abstraktion gibt mir die Freiheit, zu sehen was ich sehen möchte. Kunst so zu sehen kann man lernen, unabhängig von Bildung und Alter. 

Welche Werke sollte man bei einem Besuch auf keinen Fall verpassen?
Reinhard Ernst: Der Bau und die Kunstwerke bilden ein Gesamtkunstwerk. Am besten, man schaut sich alles in Ruhe an: Angefangen mit dem Untergeschoss, wo Mad Cs Wandering Clouds die Toiletten in ein begehbares Kunstwerk verwandeln, über die vier Räume der Sonderausstellung "Helen Frankenthaler moves Jenny Brosinski, Ina Gerken, Adrian Schiess", bis hoch in das 2. Obergeschoss, wo unsere Besucher raumgreifende Reliefs von Frank Stella und großformatige Werke unter anderem von Toshimitsu Imai oder Friedel Dzubas bewundern können.


Ich bin darüber hinaus fest davon überzeugt, dass wir es mit unserem Museum schaffen, Kreativität in Kindern zu wecken.

Reinhard Ernst

Eine besondere Rolle spielt im mre die Förderung von Kindern ...
Reinhard Ernst: Ich selbst habe als Kind keine Berührung mit Kunst gehabt. Kurz nach dem 2. Weltkrieg geboren, hatte ich eine schöne aber auch entbehrungsreiche Kindheit.  Kunst gab es weder bei uns zuhause noch in der Schule. Es gab auch keine Berührungen mit Museen, niemand hatte mich hier herangeführt. Das bedauere ich heute sehr. So bin ich erst als Erwachsener erstmals in Museen gegangen, vorwiegend an Sonntagen, wenn ich keine Geschäftstermine hatte. Die Kunst, die ich zu sehen bekam – nicht nur abstrakte Kunst, diese Vorliebe kam später – hat mich tief bewegt. Mein Wunsch wurde es dann, jungen Menschen das zu ermöglichen, was mir als Kind nicht vergönnt war.

Ich bin darüber hinaus fest davon überzeugt, dass wir es mit unserem Museum schaffen, Kreativität in Kindern zu wecken. Kreativität, die wir mehr denn je in unserem Land benötigen. Wir haben ein umfangreiches Programm für Kinder und Jugendliche – es gibt eine Kindertour im Mediaguide für sie, wir bieten verschiedene Workshops an und unser Farblabor kommt sehr gut an. Alle Angebote finden sich auf unserer Website im Bereich Lernen und Erleben.  

Welche Bilanz ziehen Sie nach mehr als einem Jahr?
Reinhard Ernst: Wir haben seit der Eröffnung im Juni 2024 mehr als 200.000 Besucher im Museum begrüßt. Diese reisen zum Teil von sehr weit an, um unser Haus und die Ausstellungen zu sehen. Dass das Museum so gut angenommen wird, erfüllt mich mit großer Freude. Insbesondere freut es mich aber, dass wir in diesem Jahr knapp 780 pädagogische Gruppen und rund 10.500 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren in unserem Museum willkommen geheißen haben.

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